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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Wie wir das Alles möglich gemacht, wie uns die Mittel geworden, deren Du zu dieser Reise bedarfst, das kümmere Dich nicht. Frauen, die zu lieben verstehen, wie Deine Mutter und ich, die haben auch den Muth zur That, wo es das Glück Desjenigen gilt, dem ihr ganzes Sein und Denken gewidmet ist; die finden auch Freunde im Momente, wo sie deren bedürfen.

„Komm also und sei stark, wie wir stark sein wollen in dieser schweren, schweren Stunde, die mir so Vieles giebt, so Vieles nimmt! – Das Hinaus in die Welt, das Dein Herz, gesteh’ es nur, so dringend begehrte, das steht Dir jetzt bevor, und frei athmest Du auf in dem Gefühl, von da an keinem Prinzip mehr Unterthan zu sein, das der Gott in Deiner Brust Dir nicht dictirte. Sieh, wie ich Dich verstehe.

„Ich verpflege indessen unsere beiden Mütter, und erfülle die Pflicht zu Hause, die der Mann der Welt gegenüber zu erfüllen hat, und suche glücklich zu sein durch Erinnerung und Hoffnung. Komme also zu

Deiner Leonie. 

„Welch ein Mädchen!“ rief August, als er zu Ende gelesen. „Ja, Leonie, ich bin Deiner noch werth und werde Deiner werth bleiben. In einer neuen Welt sollen diese beiden gesunden Arme mir zu einer Existenz verhelfen, die unsern einfachen Bedürfnissen genügt, dort will ich mir die Hütte erbauen, wohin ich Dich als mein treues Weib führe, und meiner angebeteten Mutter letzte Jahre verschönere. Ich habe jetzt ein Ziel, dem ich nachstreben kann, das die ganze Aufwendung meiner Kräfte erfordert, und ich wäre kein Mann, wenn ich es nicht zu erreichen wüßte. – Doctor!“ rief er seinem Arzte entgegen, „helfen Sie mir einpacken! Noch diesen Abend muß ich fort von hier. Meine Fesseln sind gebrochen, meine Ehre ist gerettet und dem muthigen Wollen winkt der Sieg.“




Kriegerleben in Algerien.[1]
Von Julius v. Wickede.

Noch standen am heutigen Morgen die Sternbilder an dem tiefdunkelblauen afrikanischen Himmel, da schmetterten schon die Trompeten das Signal zum Antreten und mit lautem „vite, vite, sacre nom de dieu!“ und ähnlichen Flüchen trieben die ungeduldigen Capitaine und Lieutenants ihre Soldaten in die Reihen. Glaubten die Chasseurs doch selbst schon, in nächster Stunde vielleicht würde es wieder ein tüchtiges Gefecht mit den Kabylen geben, und nicht wenig trug diese Hoffnung dazu bei, ihren frohen Eifer zu vermehren. Gar manche der braven Bursche hatten sich nicht einmal Zeit gelassen, ihren schwarzen Kaffee, der im Feldkessel am Wachtfeuer gekocht, ohne Milch und Zucker das Frühstück bildete, in Eile hinunterzustürzen, sondern traten den Marsch in gänzlicher Nüchternheit an, höchstens ein trocknes Stücklein des steinharten alten Schiffszwiebacks, von dem jeder Soldat eine Portion bei sich trug, mit höchster Anstrengung der Zähne beim Marschiren selbst zerkauend. Was denkt aber der Chasseur in Algerien auch viel an Frühstück und anderweitige Bedürfnisse, wenn er nur Hoffnung hat, seine Büchse tüchtig auf die verhaßten Kabylen, die schon so viele seiner Kameraden heimlich überfallen, und dann ohne Weiteres grausam ermordet haben, abfeuern zu können. Diesmal aber sollte diese Hoffnung gar arg getäuscht werden, denn viele Stunden schon, Berg auf, Berg ab, in den steinigen Schluchten des Atlas hatte der Marsch gedauert, und von den Feinden wollte sich auch nicht die mindeste Spur entdecken lassen. Was half es, wenn die Patrouillen, die vorn und zu beiden Seiten marschirten, auch noch so eifrig spähten und spähten, auch nicht das leiseste Zeichen von irgend einem Kabylen konnten sie entdecken. Schien es doch wirklich, als wenn die ganze Gegend auf viele Meilen weit und breit ganz von Feinden leer wäre, so wenig ließ sich eben eine Spur von denselben auffinden und doch war vor einigen Tagen noch durch theuer bezahlte und daher zuverlässige Späher die sichere Nachricht gebracht worden, daß ein sehr starker feindlicher Trupp in räuberischer Absicht hier in der Gegend herumschweife. Aber in der Kunst, gerade da zu sein, wo man sie am Wenigsten erwartet, hingegen sich jeder etwaigen Aufsuchung auf das Schlauste zu entziehen, haben es die Kabylen und Hajuten in Algerien wirklich zu einer außerordentlichen Vollkommenheit gebracht und gerade dies verleiht ihnen eine weit höhere feindliche Bedeutung, wie alle ihre anderweitigen kriegerischen Eigenschaften.

Wollten die Kabylen sich aber an dem Morgen nicht zeigen, so wurden die Chasseurs bald von einem andern, ihnen ungleich unangenehmeren Feind geplagt, nämlich der immer mehr steigenden Sonnenhitze. Die ersten drei bis vier Stunden war der Marsch wirklich angenehm gewesen, denn kühl und kräftigend wehte die Morgenluft, geschwängert mit Wohlgerüchen aller Art, aus den vielen blühenden Sträuchen und Blumen an den Bergabhängen. Aber schon gegen neun Uhr fing die Sonne an immer glühender und glühender zu werden, immer senkrechter fielen ihre Strahlen auf die armen Chasseurs; dazu marschirte man jetzt in einem engen Thal, auf beiden Seiten von steilen Felsenwänden eingeschlossen, so daß auch nicht der mindeste Luftzug eindringen und die furchtbare Hitze etwas mildern konnte. Wirklich als wenn man in einem Schmelzofen sich befände, so drückend war die Luft, so sehr widerstrebte förmlich die Lunge, dieselbe einzuathmen, und mit schwerem Druck legte sich diese Gluthitze auf den ganzen Körper. Dazu mußten die Chasseurs den vollgepackten Tornister mit darauf befestigtem gerollten Capotemantel, die mit achtundvierzig scharfen Patronen gefüllte Cartouche, den Brotsack mit Zwieback, Reis und etwas gesalzenem Hammelfleisch auf zwei Tage und ihre sämmtlichen Waffen mit sich herumschleppen. Wie trieften aber auch dieselben vor Schweiß, gleichsam als wenn sie aus dem Wasser gezogen wären, so durch und durch geschwitzt von oben bis unten waren die Meisten von ihnen. Noch aber marschirten Alle rüstig, wenn auch gerade nicht mehr lustig, fort, und wenn auch die frohen Gesänge und muntern Witzeleien, die man anfänglich hören konnte, allmälig immer mehr und mehr verstummten, zu lauten Klagen ober Murren war es bisher noch nicht gekommen. Waren die Chasseurs, größtentheils Söhne der französischen Baskenlande oder der Provence und Gascogne, hier und da auch von Corsika, doch schon von Jugend auf an ziemliche Hitze gewöhnt, und ein zweijähriges Feldleben in Algerien hatte sie außerdem schon recht sehr im Ertragen von Strapazen und Beschwerden aller Art abgehärtet. Was solchen Mühseligkeiten nicht gewachsen war, hatte man entweder zum Depôt nach Frankreich zurückgeschickt, oder der Tod hatte in den Lazareths eine schnelle Beute daran gefunden, der Rest aber, der am heutigen Tage den Eilmarsch machen mußte, konnte schon etwas vertragen und war durch und durch abgehärtet. Wollte aber wirklich ein oder der andere Chasseur sich allzusehr dem Eindruck der Hitze oder gar der Müdigkeit hingeben, so erhielt er so kräftige Ermahnungen von den Offizieren und Unteroffizieren, oder ward gar mit solcher Menge von Flüchen und Strafdrohungen von denselben überschüttet, daß er gewiß seine äußersten Kräfte anspannte, um noch rüstig mit fortmarschiren zu können. Der französische Soldat wird im Dienst stets sehr strenge und rücksichtslos behandelt und von Schonung desselben ist in Algerien nie viel die Rede.

Immer steiler und beschwerlicher ward nun aber der Weg, immer glühender und glühender fielen die Sonnenstrahlen in den engen Bergkessel. So ungeduldig der Commandant, der auf seinem kleinen muthigen Berberhengst vorn an der Spitze der Kolonne ritt und oft mit einem unwilligen en avant, en avant!“ die Marschirenden zur größeren Eile antrieb, auch oft auf seine Uhr sah, denn es schien, als müsse er zur vorgeschriebenen Stunde ein bestimmtes Ziel erreichen, so wollte es doch nicht gelingen, den Marsch noch mehr zu beschleunigen. Endlich gegen Mittag,


  1. Da ein großer Theil der Französisch-Algierischen Armee nach dem Orient eingeschifft ist, so dürfte die Art und Weise, wie diese Soldaten an den Krieg gewöhnt werden, unsere Leser wohl interessiren. Herr v. Wickede, der bekannte Verfasser militärisch-wichtiger Schriften, war selbst längere Zeit in Algier und kennt also die Armee und die dortige Kriegsführung aus eigener Anschauung.
    Die Redaktion. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)