Seite:Die Gartenlaube (1854) 191.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 17. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.
(Fortsetzung.)

In diesen und ähnlichen Selbstgesprächen verging ihm die Nacht und als der Morgen purpurn am Himmel heraufzog, fand er ihn mit gestütztem Haupte am Fenster sitzen, den Blick sinnend auf die Nebel gerichtet, deren Spiel ihm dem Chaos blinder Naturkräfte vergleichbar dünkte. Er knöpfte seinen Ueberrock zu und wanderte hinaus in den Garten, und von da in den angrenzenden kleinen Wald, wo die Vögel eben ihr Morgenlied anstimmten und Alles so frisch und freudig in den Tag hineinschaute. „Wer doch auch froh sein könnte beim Anblick dieser lachenden Natur,“ sagte er schmerzlich. „Aber der Sclave, der die Kette trägt, der kann es nun und nimmermehr.“

Als es sieben schlug, stand er dem Hause gegenüber, dessen Fenster jetzt schon das inwohnende Leben verriethen. Die Knaben waren bereits aufgestanden und winkten ihm ihren Morgengruß zu. Er stieg hinauf in sein Zimmer, wo so eben sein Frühstück aufgetragen ward. Um acht sollte der Unterricht beginnen und Frau von Rabenhorst ließ hinaufsagen, daß sie gegenwärtig sein würde, um nach einer kurzen Prüfung der Kenntnisse ihrer Söhne, mit dem Lehrer zu berathen, wie das Tagewerk derselben eingetheilt werden sollte. August konnte gegen diese Anforderung nichts einwenden. Es war billig, daß man der Mutter eine Stimme im Punkte der Erziehung ihrer Söhne ließ. Er erwartete also deren Erscheinen und ließ sich einstweilen die Schulbücher der Knaben vorlegen und den alten Stundenplan hervorsuchen. Indem trat auch die Frau Mama schon ein und das kleine Examen nahm seinen Anfang. Das Resultat desselben war die Ueberzeugung, daß hier noch wenig geschehen sei und viel einzuholen wäre; August theilte seine Ansicht darüber mit und fand in diesem Punkte volle Billigung. Ueber die Gegenstände des Lernens vereinigte man sich schnell, ein anderer Punkt war aber die Aufsicht der Knaben nach den Stunden. Die Mutter begehrte, daß er dieselben keinen Augenblick aus den Augen lasse, mit ihnen spazieren gehe, bei ihren Spielen gegenwärtig sei, kurz, daß er den Kindern jede Möglichkeit abschneide, die geringste Unart zu begehen. August meinte, das heiße die Kinder unglücklich machen. Er dachte an seine eigene glückliche Jugend, an die goldne Freiheit nach gethaner Arbeit, an die Knabenstreiche, die er ausgeübt, und den Uebermuth des Lebens, der damals in ihm gesprudelt, als ihm noch die ganze Welt ein offenes weites Feld war, auf dem sein Fuß ungehindert wandern mochte. Er schilderte mit glühenden Farben das Glück jener Tage, und bat die Frau Kammerherrin auch ihren Söhnen diese freie Entwickelung ihrer Kräfte zu gönnen. Sie hörte ihm mit halbem Lächeln zu.

„Sie sprechen warm,“ sagte sie. „Es scheint, daß Sie meine Knaben lieber zu wilden Buben, als zu wohlgesitteten Söhnen eines vornehmen Hauses erziehen möchten. Vielleicht ist Ihnen auch die Mühe zu viel. die ich Ihnen damit zumuthe. Sie brauchen das aber nur einfach zu sagen, es giebt der jungen Leute genug, die gerne eine solche Stellung in unserm Hause annehmen.“

August fühlte, wie ihm alles Blut in die Wangen stieg. Er stand auf, vielleicht um seine innere Erregung dadurch zu bemeistern. „Sie mißverstehen den Sinn meiner Worte, gnädige Frau,“ sagte er dann höflich kalt. „Doch ganz wie Sie befehlen. Auch ich werde einen anderen Aufenthalt zu finden wissen.“

Frau von Rabenhorst verließ das Zimmer und als man am Mittag zu Tische kam, war keine Rede von dem was vorgegangen. Gegen Abend traf der Herr Kammerherr ein und am Theetische wurde August diesem vorgestellt. Außer einer höflichen Begrüßung, wie sie ein feiner Weltmann für Jeden hat, der ihm untergeordnet ist, widmete er den neuen Hausgenossen keiner Aufmerksamkeit, und dieser blieb ein stummer Gast am Theetische, wo von Familien und nachbarlichen Verhältnissen die Rede war, bis die neunte Stunde schlug, wo er sich mit einer stummen Verbeugung zurückzog. Am folgenden Morgen fand er auf seinem Kaffeebrete ein versiegeltes Billet, von Damenhand geschrieben; er öffnete es mit gesteigerter Erwartung des Inhaltes und las:

P. P.

„Ich habe mit meinem Gatten Rücksprache genommen wegen der unter uns stattgehabten Unterhaltung von diesem Morgen, und er ist meiner Ansicht, daß diese Art von Erziehung, wie Sie sie unsern Knaben zu Theil werden lassen möchten, nicht für eine Familie von unserem Stande paßt; in seinem Auftrage bitte ich Sie daher sich zu nächstem Michaelis nach einer andern Stelle umzusehen, und versichert zu sein, daß unsere Empfehlung Ihnen dabei in geeigneter Weise zu Theil werden soll.

Ihnen Alles Wohlergehen wünschend unterzeichnet sich gewogentlichst

Amalasunda von Rabenborst  
geb. Gräfin Treutheim von Eberswalda.“

August legte das duftende Papier wieder zusammen und schenkte ruhig eine Tasse Kaffe ein. „Damit wäre man also schon wieder fertig!“ murmelte er. „Was nun zunächst? Ob ich meiner Mutter die Sache melde, oder lieber schweige. Er beschloß endlich das Erstere zu thun und ihr mit einfacher Wahrheit den ganzen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_191.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)