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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

junger Mann, mit so hübschen geselligen Talenten, wurde in manchen Familienkreis gezogen und gerne gab er sich solchen Zerstreuungen hin, die ihn zu seiner angestrengten Geistesarbeit neu kräftigten. Durch Riekchen, des Gewürzkrämers Tochter, hatte er einige Musikstunden zu geben bekommen, die ihm sehr zusagten. Seine einfachen Bedürfnisse waren nun gedeckt und er konnte seinen Zweck in’s Auge fassen, und sich mit ganzem Eifer seinen Studien widmen. Ob ihm das Fach zusagte, auf das er sich vorbereitete, darüber hatte er nie nachgesonnen. Von frühester Kindheit hatte man ihm vorgesagt, daß er eines Tages die Kanzel besteigen würde, wie sein Vater sie bestieg, und die engzugeschnittene Sphäre eines Pfarrers in einem kleinen Orte kam ihm nie beschränkt vor, weil er über diesen Lebenskreis hinaus nichts kannte, und darum nichts suchte und begehrte. Jetzt erst, wo er als Student in die Gesellschaft trat, und hier mit Männern aller Wissenschaften verkehrte, wurde seinem Ideenkreis ein weiterer Horizont eröffnet, und es gab Momente, in welchen er sich sehnte, frei seinen Beruf wählen, frei hinaustreten zu können in die Welt der Gedanken und der Thaten, um sich sein Plätzchen darin zu erobern. Aber schon in der nächsten Minute sanken ihm seufzend die Flügel. Jedem Streben stellte sich ja die Sorge um die bloße Existenz entgegen, an allen Pforten sah er die Worte geschrieben: „Hier ist kein Einlaß für den, welcher den Zutritt nicht erkaufen kann.“ Ein bitterer Unmuth wollte sich dann seiner bemächtigen. Finsterer zog sich seine Stirn zusammen, unmuthig stampfte sein Fuß den Boden, und mit Verachtung blickte er auf Verhältnisse und Zustände, die ihm, wie er meinte, nie zu irgend einer Geltung kommen lassen würden. An eine christliche Demuth zu denken, lag ihm fern. Wie alle jungen Theologen der protestantischen Religion, wählte er seinen Beruf nicht aus Glaubenseifer, nicht weil es ihn drängte dem Herrn zu dienen und seine Heerde zu weiden, sondern einzig, einer weltlichen Versorgung halber. Der Predigerstand bietet die beste Aussicht zu schnellem Erwerb. Sind die drei Universitätsjahre vorbei, so bedarf der junge Candidat keiner weitern Unterstützung von seinen Aeltern, er tritt dann sogleich sein Lehreramt an, und verharrt in diesem, bis ihn eine Pfarre ruft. Der Jurist dagegen hat drei Examina zu bestehen und erst nach diesen darf er auf eine Anstellung rechnen, die auch dann noch problematisch ist und oft mit keiner, oder einer sehr geringen Besoldung anfängt. Der Arzt nun gar ist auf Glück und auf die Gunst des Publikums angewiesen, und die letztere ist oft eine launische und kärgliche Spenderin. Der Kaufmann, der Landmann, brauchen Capital, wollen sie es je zu einer Selbständigkeit bringen. Dem Sohne eines armen Vaters bleibt also nur die Theologie, will er sicher in einen Hafen einlaufen. August erkannte diese Wahrheit, so wie er begann selbständig zu prüfen: ob die Bahn, auf die ihn die Umstände unwillkürlich geleitet, auch die rechte für ihn sei, er erkannte, daß seine Mutter ihn nicht länger unterstützen könne, als höchstens während dieser drei Jahre, er erkannte, daß er es Leonien schuldig sei, auch für sie die Lebensstellung zu wählen, die ihn am Schnellsten zu Amt und Brot verhälfe. So resignirte er sich dann bei einem Berufe zu bleiben, der seinem Ehrgeiz keine Sphäre bot, und ihn vielleicht auf Lebenszeit zu dem kontemplativen Leben eines Landpfarrers hindrängte, eine Existenz, gegen die seine ganze Natur sich sträubte.

Die drei Universitätsjahre schwanden dahin. August kehrte während derselben nicht in seine Heimath zurück, denn seine Mutter konnte ihn der jungen Mädchen halber nicht bei sich aufnehmen, und nöthigte ihn das Geld, welches eine Reise zu ihr gekostet hätte, zu einer Fußwanderung zu verwenden. Sie hielt diese kleine Abwechselung in seinem Leben für unerläßlich; denn sie kannte ihn und seinen Jugendmuth, so wie den ungestümen Drang seiner Natur nach einem thätigen Leben und Wirken: sie kannte seine Abneigung gegen dies todte Wissen, das sich auf seiner Bahn nie verwerthen ließ; denn eine Predigt vor seinen Bauern erforderte solcher Vorbereitungen nicht. So nahm er denn seinen Wanderstab und besuchte in dem einen Jahre die Insel Rügen, in dem andern Berlin und das dritte sah ihn in den Schluchten des Harzgebirges umherstreifen. Frisch und freudig kehrte er von solchen Wanderungen heim und grübelte dann mit neuem Muthe über staubigen Büchern, deren Inhalt er sich eigen machen sollte, um der Stunde einer Prüfung willen, die sich selbst Zweck war. Das Nutzlose dieser Aufgabe widerte ihn an, aber mit dem eisernen Willen seiner Natur lieh er sich ihr mit Gründen, die seine Vernunft ihm als dringend vorstellte. So schwanden die Jahre dahin und endlich brach der Tag herein, an dem er Rechnung ablegen sollte von dem Gebrauche seiner Zeit während einer Periode seines Lebens, die für den Mann den Ausschlag giebt für sein ganzes künftiges Geschick. Er stand jetzt vor seinen Richtern, vor den Vätern der Kirche, den hohen Consistorialräthen und beantwortete die an ihn gerichteten Fragen; er stand da, in der Absicht und mit dem Bewußtsein, er habe hier auf sein Gewissen zu beantworten, ob er jene vom Staate vorgeschriebenen Glaubensartikel gläubig annehme und sie in demselben Sinne wieder zu lehren bereit sei. Die Herren sahen ihn verwundert an, als er vor sie trat. In seiner Erscheinung lag nichts von jener ängstlichen Befangenheit, die sie an den Kandidaten der Theologie gewohnt waren, selbst der Rang und die Würde dieser Männer schien ihm nicht zu imponiren. In stolzem Jugendmuth blickte sein leuchtendes großes Auge sie offen an, über seine hohe Stirn lockte sich sein reiches braunes Haar, und die schöne kräftige Gestalt des jungen Mannes erschien durch seinen aufrechten Gang noch höher, als sie war. Er hatte so eben erst sein einundzwanzigstes Jahr zurückgelegt; der Ernst seines Lebens, das Bewußtsein sich selbst vertreten zu müssen, hatte seinem Wesen eine gewisse Selbständigkeit verlieben, die ihn über sein Alter hinaus gereift erscheinen ließ. Die Prüfung nahm ihren Anfang und gewährte ein befriedigendes Resultat. So schien es wenigstens. Was während derselben in des Jünglings Seele vorging, das ahnten die gelehrten Herren wenig. Daß ihr Anblick, ihr Wesen, ihre eng zugeschnittene Auffassung der Dinge einen unverlöschlichen Eindruck auf ihn machten, konnten sie nicht vermuthen; daß es in seinem Innern dabei lauter und lauter rief: so willst du, so darfst du nicht werden! hätten sie nicht vermuthet.

Er reiste nun sogleich zu seiner Mutter ab und diese empfing ihn, wie sich erwarten läßt, mit dem ganzen Stolz und der ganzen Seligkeit, die das Wiedersehen eines solchen Sohnes in ihr erwecken mußte: sie sah der Zukunft nun mit heiterem Muthe entgegen, sie durfte hoffen ihn in den nächsten Jahren versorgt zu sehen, und noch Enkel auf ihren Knien zu wiegen. Sie war ganz Heiterkeit, ganz Glück! Auch Leonie begrüßte ihn tief bewegt; doch sprach sie ihre Freude nicht so unverholen aus, wie die Mutter, und nur der Strahl ihres Auges verrieth, was das Herz bewegte. Es war ein schönes Paar; wenn man sie so beisammen sah, mußte man sich sagen, diese scheinen für einander geschaffen. Auch in dem tiefen Ernst ihres Wesens glichen sich Beide. Man sah ihnen an, daß trotz ihrer Jugend das Leben ihnen schon seine Aufgaben gestellt, die sie zu einem beständigen Insichgehen zwangen.

Auguste hatte ihre Schülerinnen zu entfernen gewußt, während ihr Sohn bei ihr war, und stille Ruhe herrschte im Hause. Sie wollte das Glück dieses Wiedersehens ungetrübt genießen; denn wie lange schon hatte sie nicht von diesem ersehnten Augenblick geträumt, der für eine Mutter das Höchste ist, was die Erde zu bieten hat, – das einzige geliebte Kind an ihr Herz zu drücken! In der Mittagsstunde des nächsten Tages führte Leonie den jungen Mann zu ihrer Mutter. Sie geleitete ihn diesmal selbst: denn sie meinte ihr jetzt die Mittheilung machen zu können, daß ihr Schicksal unwiderruflich an das seinige gebunden sei. – Die Frau Pastorin Sommer saß in einem Armsessel am Fenster, durch das die Sonne freundlich schien; in der Vertiefung desselben hing ein Käfig, in dem ein Vogel schrillend pfiff, und zu ihren Füßen schlummerte auf einer warmen Decke eine alte und eine junge Katze. Sie selbst schien an Umfang noch bedeutend zugenommen zu haben, ihr Gesicht hatte den vorherrschenden Ausdruck der Neugierde, jenen Späherblick des monotonen Alterlebens angenommen, und ihre Hand hielt eine ungeheuere Decke, an der sie arbeiten mochte.

August begrüßte sie auf die verbindlichste und ehrfurchtvollste Art; denn sie war ja Leonie’s Mutter, und als solcher gebührte ihr dieser Respect. „Sie äußerten einmal gegen den Knaben,“ sagte er, „daß Sie ihn auch als Sohn betrachten möchten; so hoffe ich, daß Sie mich auch jetzt noch in dieser Eigenschaft annehmen!“

Sie sah ihn eine Minute fragend an. „Jetzt sehe ich wie die Sachen stehen!“ brach sie dann aus. „Das war es! Darum schlug sie Ihren Bruder aus, und darum auch wollte sie den reichen Pastor Röder durchaus nicht vor sich kommen lassen. Ich arme unglückliche Frau! Statt an meinem einzigen Kinde die Freude zu erleben, sie wohl versorgt zu sehen; statt daß ihr Herz

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