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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 9. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Doctor Schmidt und Magister Müller.

Erinnerung aus dem Leben einen bekannten Komikers.


In einer Mittelstadt eines der kleinern Rheinbundstaaten (es ist sonach von längst vergangener Zeit die Rede und zwar vom Jahre 1808), wo gerade eine Schauspielergesellschaft Vorstellungen gab, erschien eines Tages ein junger Mann, welcher entschlossen war, bei dieser Truppe ein Engagement zu suchen. Sein Mißgeschick wollte jedoch, daß sich augenblicklich alle Fächer ausreichend besetzt fanden, während er in der sichern Erwartung, eine Stelle für sich hier offen zu finden, weit genug hergekommen war. Der junge Mann gehörte aber zum Glück unter die begünstigten Leute, welche sich nicht so gleich durch ein unvermuthetes Fehlschlagen entmuthigen lassen.

Man muß weiter wandern, dachte er, und was sich hier nicht findet, das zeigt sich anderswo. –

Er gehörte indeß ebenso auch nicht unter die Leute, die gern Hunger und Durst leiden, zumal auf der Reise, und um solchem Uebelstande auszuweichen, ist in dieser civilisirten Welt nun einmal das beste Mittel eine wohlgefüllte Börse. Diese letztere besaß er keineswegs, denn die seinige war, wenn auch nicht buchstäblich leer, doch nur äußerst sparsam gefüllt.

Gegen Abend schlenderte er aus seinem Gasthofe hinaus, um ein Kaffeehaus zu besuchen, da er seinerseits die Erfahrung gemacht hatte, daß ein gescheidter Kopf nirgends leichter auf fruchtbare Gedanken geräth, als in einem Kaffeehause.

Das Tagesgespräch drehte sich dazumal, wenigstens in jener Stadt, um die Erhebung der Spanier gegen die Franzosen; namentlich sprach man von dem erbitterten Heldenkampfe, welcher im Augenblick noch unentschieden in den Mauern Saragossa’s wüthete. Kaum vermochte ein anderes Gespräch aufzutauchen, als über diesen Gegenstand. Der junge Fremde, welcher an einem Tische Platz genommen hatte, nahm lebhaft an einem solchen Gespräche Theil, sprach viel über die grauenvollen Scenen, welche in jener Stadt jetzt ununterbrochen vorkommen sollten, wo es Rauch und Trümmer in Fülle gab, wo der Krieg über und unter der Erde tobte, ja unter der Erde, in Kellern und Gewölben, fast noch grimmiger als oben. In begeisterten Worten sprach er sich über den Heldenmuth jener Spanier aus, welche lieber ihre Felder verwüstet und verwildert, ihre Städte in Schutthaufen verwandelt sehen, als sich der aufgedrungenen Fremdherrschaft fügen wollten.

Mitten in einer seiner glänzenden Darstellungen schoß ihm aber plötzlich eine Idee durch den Kopf. – „Gefunden!“ dachte er freudig. „Es ist doch wahr, daß man in einem Kaffeehaus am gescheidtesten ist. Alle Welt interessirt sich hier ausnehmend für Spanien und für Alles, was dort vorgeht. Warum sollte eine öffentliche Vorlesung über diese Gegenstände nicht guten Anklang finden?“

Von der Idee zur Ausführung war bei ihm nur ein Schritt. Triumphirend leerte er sein Glas, nahm seinen Hut und begab sich zurück nach seinem Gasthofe, dem goldenen Wolfe, um alle nöthigen Vorbereitungen noch am nämlichen Abend zu treffen, denn schon am folgenden mußte die Vorlesung gehalten werden, weil dies der einzige Abend war, an welchem das Theater in dieser Woche geschlossen blieb. Er befragte zunächst seinen Wirth, einen leidlich gebildeten Mann, welcher ganz der Ansicht war, daß ein solches Unternehmen den besten Erfolg erwarten ließe. Sofort wurde Alles geordnet. Im Hause selbst befand sich ein Saal, welcher weit mehr als dreihundert Personen bequem fassen konnte. Es war gerade noch Zeit, die betreffende Einladung in das Lokalblatt einzusenden, wo sie am nächsten Morgen erscheinen mußte, und ebenso wurden von der Druckerei bis dahin noch in erforderlicher Anzahl Eintrittskarten geliefert. Nachdem Alles dies bestellt war, ließ sich der Gast noch eine Flasche Wein auf sein Zimmer bringen und legte sich, als sie geleert war, zur Ruhe, sehr zufrieden mit sich und seinem guten Einfall.

Er erwachte am andern Morgen ziemlich spät. Das Blatt mit der Ankündigung war bereits vorhanden. Das Publikum erfuhr darin, daß Herr Doctor Schmidt (der Doctor war ein kleiner Betrug, den er unter den Umständen und als unempfohlener Fremder für verzeihlich hielt) am Abend im Saale des goldnen Wolfes gegen einen Gulden Eintrittsgeld einen Vortrag halten würde „über Spaniens Verhältnisse zu Europa in älterer und neuerer Zeit, und insbesondere über den gegenwärtigen Heldenkampf der Spanier gegen die Fremdherrschaft, dessen Einfluß und Bedeutung“ u. s. w.

Während Herr Schmidt noch bei seinem Frühstück saß, brachte ihm der Wirth die frohe Nachricht, daß bereits jetzt am Morgen eine ziemliche Anzahl Karten abgeholt worden wären. Man kann denken, daß diese Kunde das Frühstück würzte.

Nachdem letzteres beendigt war, konnte er sich indeß nicht verhehlen, daß er sich noch mit anderweitigen ernsten Gedanken beschäftigen müßte. Er hatte viel versprochen, und gleichwohl mußte er sich gestehen, daß von den hoffentlich sehr zahlreich erscheinenden Zuhörern die meisten zum wenigsten ebenso viel als er selber, ja Viele vermuthlich weit mehr von dem Gegenstande wissen würden. Was die jüngste Zeit betraf, für welche die Zeitungsberichte noch die einzige Quelle waren, so fühlte er sich unbesorgt, denn er konnte da der nie stockenden und nie in Verlegenheit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_091.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)