Seite:Die Fackel Nr. 333.djvu/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ich glaube nicht, daß ich zu jenen Autoren zähle, für deren Verbreitung dreißig Jahre, nachdem sie außer Stand gesetzt sind, Honorar zu bekommen und Korrekturen zu lesen, der Staat gesorgt hat. Sollte es wider Wunsch und Erwarten dennoch der Fall sein, daß auch an mir diese Wohltat versucht wird, und sich also ein Verleger oder Drucker finden, der um das Honorar zu bekommen an meiner Statt die Korrekturen nicht liest, so nehme er meinen Fluch als Vorwort, schon heute, also zu einer Zeit, wo ich es noch redigieren kann. Denn mir liegt auch dreißig Jahre nach meinem Tode mehr an einem Komma, das an seinem Platz steht, als an der Verbreitung des ganzen übrigen Textes. Und gerade darum glaube ich, daß ich zu jenen Autoren zähle, die vom Ablauf der Schutzfrist, welche der Staat aus Rücksicht auf die Popularität nur mit dreißig Jahren bemessen hat, nicht das Geringste für ihre Ruhe zu befürchten haben.

*

Ich stelle mir gern vor, daß über den Lieblingen des Publikums die wahre Vorsehung waltet, indem sie für ihre grausame Verkennung nach dem Tode schon bei Lebzeiten entschädigt werden. Sonst hätte das ganze Treiben ja keinen Sinn. Nachwelt und Jenseits wetteifern‚ sie zu verwahrlosen, die der Zeit- und Raumgenossenschaft ein Kleinod waren. Da sie aber dort und dann nicht weniger, sondern jetzt und hier mehr bekommen als sie verdienen, so kann füglich nicht von Vergeltung, sondern nur von Begünstigung gesprochen werden. Die Hölle steht ihnen nicht offen, denn man fragt zwar den Teufel nach ihnen, wenn sie tot sind, aber selbst er weiß nicht, wo sie sind. Nur die Erde stand ihnen offen und trug sie, bis sie für das Nichts reif waren. Ihre Bücher, treu ihren Leibern, zerfallen in Staub und müßten, wenn hier Pietät und Sanität etwas zu sagen hätten, mit in ihre Särge gelegt werden.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/5&oldid=- (Version vom 8.8.2016)