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denn der Schatten, der uns trennte, wollte auch dem scharfen Blick nicht weichen, aber ich gelangte zur Feststellung des Sachverhaltes. Ich hielt der Verwirrung so lange stand, daß ich wenigstens ihren Ursprung unzweideutig erkannte. Es handelte sich nicht um einen Denkfehler oder eine Überreizung meiner Nerven. Ich hatte mir Besinnung zur Pflicht gemacht, gleichwohl konnte ich mich über die Mystifikation nicht hinwegsetzen. Aller Wachsamkeit zum Trotz entdeckte ich keinen Grund der Kleinlichkeit, der etwa als Stachel in mir zurückgeblieben wäre. Vielmehr verblaßten alle untergeordneten Bedenken vor der einfachen Mechanik der Geschehnisse. Ich zwang mich, sie klar ins Auge zu fassen, vermochte es aber nicht, sie zu ertragen. Jetzt hatte ich mich in der Gewalt, und doch drohte die Unsicherheit mich wieder zu umfangen. Daher konnte an der Wahrhaftigkeit dessen, was mich bewegte, nicht gezweifelt werden.

Es zeigte sich mir also kein Ausweg. Immer, wenn ich den Feind besiegt zu haben meinte, hatte ich nichts anders getan, als mich schutzloser in seine Hand gegeben. Doch nun flüchte ich willig in jenen Halbschlaf, der es mir ermöglicht, die Wirklichkeit für einen Traum zu halten. Nun kann ich nichts deutlich unterscheiden, Gründe und Gegengründe sind vergessen, und nur das Verlangen nach ihr bleibt bestehen; und so unternehme ich es auf eigene Faust, mich ihr wieder zu nähern.

Indessen kann sie ihrer alten Lust, Ränke zu spinnen, nicht entsagen und ist in einer eifrigen Korrespondenz begriffen, die mir verschlossen bleibt. Wieder also beginnt sie sich mir in äußerlicher Hinsicht zu entfremden. Doch früher hatte ich sie ja nur losgelöst von allen zufälligen Verkettungen gekannt. Der alte Zustand scheint wieder hergestellt zu sein, ich will mich aber nicht zufrieden geben. In aufrührerischer Gesinnung bitte ich sie, mir alles zu sagen, mache ihr eine Eifersuchtsszene, das heißt, ich spiele den Eifersüchtigen, doch ohne Erfolg, weil sie mich durchschaut. Nun hat sich meiner ein Gedanke bemächtigt: ich will sie heiraten. Wie ich ihr dies im Scherze vorschlage, bleibt sie ernst, ihre Miene drückt sogar frohe Erwartung aus. Dann fordert sie Bedenkzeit. Ich verlasse sie, ein unbezwingliches Verlangen nach Ruhe und Klarheit erfaßt mich. Die Zeit, da sie nicht mehr lebte, ist mir gegenwärtig, und während sich mir ihre Züge verwischen, denke ich ermattend an Arbeiten, die ich unterbrochen,

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)