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sie übte sogar größeren Einfluß auf mich aus, als zuvor, manifestierte sich in allen meinen Handlungen.

Die Nachricht von ihrem Tode überraschte mich nicht mehr. Auch daß ihr Begräbnis schon vollzogen war, versetzte mich nicht in Bestürzung. Es zeigte sich, daß ich an ihr Leben nicht mehr geglaubt, und nichts als die Verzweiflung meinen Verstand verwirrt hatte. So hatte ich, während sie noch lebte, und nur kurze Zeit um sie getrauert. Die Gewißheit der Nachricht führte mich zu mir selbst zurück. Jetzt machte ich mir über jene letzte Weigerung, mich zu sehen, keine Gedanken, denn sie schien gleich meiner Untreue nur ein Vorbote der endgiltigen Trennung gewesen zu sein. Ich war in ihre Verhältnisse nicht eingeweiht und kannte mit Sicherheit nicht einmal den Namen ihrer Familie. Nun wußte ich nichts von den näheren Umständen ihres Todes, und es gelang mir trotz einiger Bemühungen auch nicht, sie zu erfahren. Nach Ablauf einer gewissen Frist gewann die Ruhe langsam in mir die Oberhand; von den Mädchen aber, zu denen mich damals die Verzweiflung getrieben hatte, trennte ich mich wieder. Jetzt suchte man mich zu trösten, der ich keiner Hilfe mehr bedurfte. Ich erkannte meinen Willen, alten Gewohnheiten zu entsagen, aber sie durch neue zu ersetzen. Dabei ließ ich mich weder ablenken, noch übertäubte ich meinen Schmerz, aber er selbst erlahmte, wie die Zeit verging. Ich suchte sie nicht etwa zu vergessen, sondern bemühte mich, wenigstens ihren Schatten festzuhalten, denn die Unwirklichkeit nahm von ihr Besitz. Allmählich schien die Kraft, die ich einst empfangen hatte, erloschen, die Lust gleichgiltig zu sein. Meine Erinnerungen waren nicht durch zeitliche Entfernung getrübt; gleichwohl ergaben auch sie ein schwaches, ja falsches Abbild unserer Beziehungen. So sehr ich einen Verlust beklagte, suchte ich mich doch umsonst auf das Verlorene zu besinnen. Darum waren mir auch ihre Züge entfallen, denn nur ein lebendes Gesicht scheint die Kraft des Eindruckes zu besitzen. Trotzdem war sie aus meinem Gesichtskreise nicht ausgeschieden, sondern blieb immer sichtbar, selbst wenn ich andere Dinge ins Auge faßte; auch Äußerlichkeiten erinnerten sehr oft an das Vergangene. Ich wurde sogar durch ihren unmittelbaren Einfluß noch gefördert, obgleich ihre Zeit um war, aber nur, wenn der normale Verlauf der Zeit gestört wurde, ein Traum sie unterbrach.

Nach einigen Monaten aber stellte es sich heraus, daß sie

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)