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Wiederkehr
Von Alexander Solomonica

I

Ein Mädchen, das mir nahe stand, lag krank zu Bette. Es teilte mir zugleich mit der Krankheit den Entschluß mit, mich vorderhand nicht zu sehen, und so fühlte ich mich doppelt einsam, denn ich war mit ihren äußeren Verhältnissen wenig vertraut und darauf angewiesen, in ihrer Nähe zu weilen. Gleich darauf schrieb sie noch einmal, in milderem Tone, und bat mich, fernzubleiben, weil ihr Ruhe nötig sei. Dies erkannte ich als Ausflucht, wußte sie aber nicht zu deuten. Ich wartete ab, schickte mich an, jener Anweisung zu gehorchen und ließ nichts von mir hören; doch auch sie war jetzt verstummt. Ich fragte, ob ich kommen dürfe, sie aber schwieg, mit dem Starrsinn, der Kranken eigen ist. Einen Grund für ihr Benehmen konnte ich nicht ausfindig machen. Wir hatten uns in gutem Einverständnisse getrennt, einander nie durch Launenhaftigkeit gequält. Vielleicht aber hatte das Unwohlsein sie der Verantwortung enthoben und nichts als ein krankhafter Wille ihr jenen Brief diktiert. Beunruhigt, erbittert streifte ich umher, und sah Mienen, die Böses verkündeten. Was mich davon abhielt, hinzugehen und sie Aug’ in Aug’ zu fragen, das weiß ich nicht mehr. Gewiß fürchtete ich auch, daß mein Besuch ihr schaden würde, denn ich mußte es von dritten, fast unbeteiligten Personen vernehmen, daß ihr Zustand sich verschlimmere. Zudem ermattete ich bald, da sich meine Gedanken ausschließlich mit einem Gegenstande beschäftigten. Ich wurde verbittert, verzieh weder ihr, daß sie mir mißtraute, noch mir, weil ich nicht stark genug war, einen Dämmerzustand zwischen Furcht und Hoffnung zu durchbrechen. Sie allein besaß die Macht, mich in dieser Unentschlossenheit verharren zu lassen! Mein Unmut machte bald einem traurigen Übermute Platz, und selbst der Lust des Vergessens vermochte ich nicht zu widerstehen. Ich hatte sie seit vier Tagen nicht gesehen, und schon war ihr Bild in mir etwas verblaßt. Jetzt dachte ich an Freiheit, ohne daß ich bisher diese Verbindung als Fessel empfunden hätte. Aber nun erwachte so stark, als gelte er der Selbsterhaltung, mein Trieb, ihr die Treue zu brechen, und ich bekämpfte ihn nicht. Trotz alledem blieb sie die ganze Zeit hindurch mit mir verbunden,

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)