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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

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März 30.
Apr. 6.
Der Kaiser aber feierte an besagtem Orte das Palmen- und Osterfest, weil er erfuhr, daß Graf Balderich, der sich wegen der Ermordung Wigmans gar nicht rechtsgültig entschuldigt hatte, mit seinen Mitverschwornen noch immer widerspenstig sei.

Volcmar[1], Abt von Fulda und Lorsch, starb.

In jenen Tagen war die Sonne nach dem Berichte Einiger, vor ihrem Untergange wunderbarer Weise nur halb sichtbar.


6. Während deß brenne ich, bis das schnelle Gerücht mir etwas neues zu schildern liefert, vor Begierde, das Leben frommer Menschen zu beschreiben, einen Gegenstand, über den ich auf nicht zu entschuldigende Weise in außerordentlicher Vergeßlichkeit oben hinweggegangen bin.

Zu Zeiten König Heinrichs des II. gab es eine Einsiedlerin, Namens Sisu zu Thrubizi [Traubitz], von ausnehmender Frömmigkeit und darum mir außerordentlich theuer und werth. Zur Zeit Otto des Großen wurde diese, eine Jungfrau, von jemand zur Ehe begehrt. Sie aber floh eiligen Laufes in die Arme Christi, den sie vor allen als besonderes Gepräge des Glaubens ihrem Herzen eingedrückt hatte, und unternahm es, an einer abgeschiedenen Stelle in den obengenannten Orte sich ihrem himmlischen Bräutigam als eine keusche Jungfrau darzubringen und war vier und sechszig Jahr lang unabläßig bemüht, sich selbst mehr, als die menschliche Schwäche und Hinfälligkeit gestattete, unbefleckt zu bewahren. Denn in dieser so langen Zeit schützte sie sich nie durch ein angezündetes Feuer vor der strengen Kälte, sondern das war ihr höchstes Erwärmungsmittel, daß sie an einem etwas erwärmten Steine Hände und Füße, wenn sie beinahe erstarrt waren, wieder ein wenig belebte. Sie lag im Innern ihrer Zelle fortwährend mit Thränenströmen untermischten Gebeten ob, nach außen zu aber nützte sie der zusammenströmenden Gemeinde gar viel durch häufige Unterweisung und nöthige Tröstung. Das Ungeziefer, welches sie unabläßig plagte, warf sie nicht weg, sondern

  1. S. oben VI, 56. Die Namen Folkmar und Poppo sind identisch.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/365&oldid=- (Version vom 23.11.2023)