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Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.)

anvertrauen mag. Und trotzdem wir unseren Einkauf Tag und Nacht bei uns tragen und nie einzeln ausgehen, weiß ich nicht, ob das Schicksal uns nicht doch ereilen wird. Die zweifelhaften Existenzen haben hier eben vollständig die Oberhand gewonnen, die Behörden stehen der zunehmenden Unsicherheit völlig kopflos gegenüber und selbst die von dem Generalkommando für die geringsten Vergehen angedrohte Todesstrafe kann die Ordnung nicht mehr aufrechterhalten. Ich schildere Ihnen absichtlich die Verhältnisse so genau, damit Sie nicht, falls ich plötzlich verschwinden sollte, annehmen, Ihr Beauftragter habe die gute Gelegenheit benutzt und sich mit dem ihm anvertrauten Gut aus dem Staube gemacht. Ich werde außerdem, um die völlige Wahrheit meiner Angaben bestätigen zu lassen, van Straaten bitten, diesen Brief mit seiner Unterschrift zu versehen, den ich einem gewandten, ortskundigen Chinesen übergebe, damit er ihn durch die Burenlinien hindurchbringt und auf der nächsten Bahnstation nach Kapstadt weiter befördert. Daß ich alles tun werde, um das in mich gesetzte Vertrauen auch weiterhin zu rechtfertigen, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen. Sollte es mir möglich sein, so will ich Ihnen bald wieder Nachricht zukommen lassen.

Heinrich van Straaten.          Edward Brice.“

Als Helene Siders fünf Minuten später das Kontor betrat, um ihren Verlobten zu einem Spaziergang abzuholen, saß dieser noch ganz verstört in dem Sessel und in der schlaff herabhängenden Rechten hielt er krampfhaft zusammengeknüllt das Blatt Papier mit der verhängnisvollen Übersetzung des Briefes. Und auf ihre bestürzten Fragen reichte er ihr nur stumm den zerknitterten Bogen hin.

„Das ist das Ende, Helene!“ stöhnte er auf, als sie jetzt das Blatt Papier wieder sinken ließ und ihn mit ihren schönen Augen so bang forschend anblickte. „Wir haben zum 1. März größere Zahlungen zu leisten und konnten hoffen, diese Summen bis dahin ohne Schwierigkeiten durch den Weiterverkauf der in Kimberley erworbenen Edelsteine zusammenzubringen. Diese Hoffnung müssen wir endgiltig aufgeben. Und bei der jetzigen Geschäftspanik und der Unsicherheit auf dem Geldmarkte erscheint es auch ganz aussichtslos, daß wir uns irgendwie einen neuen Kredit eröffnen, besonders da man überall nur zu gut weiß, wie sehr wir uns durch die Errichtung der neuen gemeinsamen Firma bis zur äußersten Grenze unserer Zahlungsfähigkeit engagiert haben. Und ebensowenig werden uns unsere Gläubiger aus denselben Gründen Stundung gewähren! Was dann folgt, ist – der Zusammenbruch!“

Helene Siders hatte sich auf die Armlehne des Sesels gesetzt und schlang nun den Arm um den Hals ihres Verlobten.

„Siehst Du nicht wirklich zu schwarz, John?“ meinte sie liebevoll. „Brice teilt uns doch nur seine Befürchtungen mit. Und Kimberley kann in nächster Zeit entsetzt werden und dann …“

„Von einer Befreiung der Stadt ist vorläufig leider keine Rede!“ unterbrach er sie fast ungeduldig. „Hier, – lies dieses Extrablatt, das ich mir vor kaum einer Stunde gekauft habe! All die Unglücksnachrichten der letzten Tage findest Du darin bestätigt. Wir haben Niederlage auf Niederlage erlitten, in Kimberley selbst rebellieren die farbigen Minenarbeiter, die man aus der Stadt nicht herauslassen will, da man fürchtet, daß sie zu den Buren übergehen werden. Hier diese Einzelheiten, die durch eine Ballondepesche nach Kapstadt gelangt sind, zeigen deutlich, daß die Unsicherheit in Kimberley von Tag zu Tag zunimmt und der Brief unseres Agenten Brice die Zustände dort fast noch harmlos schildert.“

Auch Helenes frisches Gesichtchen hatte sich jetzt verfärbt. Aber trotzdem ihr Tränen in die Augen traten, sagte sie fast gefaßt, indem sie sich dichter an seine Seite schmiegte:

„Noch ist nichts verloren, nichts! Wir werden schon irgendwie Rat schaffen, glaube mir! Und nun laß uns zunächst mit Papa die Angelegenheit durchsprechen! Er ist mit mir zusammen hierhergekommen und wollte nur erst einmal in der Diamantschleiferei nach dem Rechten sehen.“ –

Es war kein leichter Gang, den John jetzt antrat. Galt es doch, seinen Schwiegervater nichts anderes als den drohenden Zusammensturz all der großfließenden Pläne und Hoffnungen mitzuteilen, mit denen vor kaum einem halben Jahre die Firma Siders u. Karst ins Leben gerufen worden war.

Die beiden hatten das Privatkontor kaum verlassen, um die in dem Hofgebäude untergebrachte Werkstatt aufzusuchen, als durch die zweite Tür von dem Verkaufsraume her ein kleiner, korpulenter Mann eintrat. Da er das Zimmer leer fand, wollte er schon wieder umkehren, bemerkte dann aber die beiden Schriftstücke, die John vorhin auf seinem Schreibtische hatte liegen lassen, schlich behutsam näher und überlas eilig die Übersetzung des Briefes, wobei mehrmals ein triumphierendes Lächeln über sein schwammiges Gesicht flog, dem ein Paar stets halb zugekniffene Augen den Ausdruck listiger Schlauheit gaben. Nochmals durchflog er dann die Zeilen, schien sich besonders mehrere Worte genau

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.). Vereinsbuchdruckerei „Celeja“ in Cilli, Cilli 1914, Seite 3(Nr.17). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Spion_von_Kimberley.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)