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Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.)

an Oberst Warren, den Verteidiger von Kimberley, geschickt worden, die der Feind aber sämtlich abfing, so daß die in der Minenstadt eingeschlossenen Truppen keine Ahnung davon hatten, wie nahe ihnen die Rettung war. Denn es unterlag keinem Zweifel, daß die Belagerung nach Einmarsch in den Oranjefreistaat sofort aufgegeben werden mußte, falls de la Rey sich nicht jede Rückzugslinie auf die Hauptstreitkräfte der Seinen abschneiden lassen wollte. Als nun die Nachrichten über die Lage von Kimberley immer bedrohlicher wurden, wagte General Methuen noch einen letzten Versuch, sich mit Oberst Warren in Verbindung zu setzen. Und hierzu bediente er sich jenes Mannes, den der Gouverneur von Kapstadt an ihn empfohlen hatte und der ihm nach glücklicher Beförderung mehrerer Depeschen nach Ladysmith hinein von General Buller vor wenigen Tagen als nunmehr entbehrlich zurückgeschickt worden war.

Die für Kimberley bestimmten Nachrichten wurden auf dünne Films in mikroskopischer Verkleinerung photographiert und Harry Siders mitgegeben, der eines Morgens zu Pferde das Hauptquartier in Lopetown verließ und nach Norden zu die zerstörte Bahnlinie entlang ritt, um so endlich dem Ziel seiner Wünsche näher zu kommen.

Kimberley zählte zur Zeit des letzten südafrikanischen Krieges ungefähr 28.000 Einwohner und war kurz vor Ausbruch der Feindseligkeiten mit einem Gürtel von Schanzen und Bastionen und einigen Außenforts versehen worden, die jedoch einem mit schwerem Belagerungsgeschütz ausgerüsteten Feinde kaum längere Zeit hätten Widerstand leisten können. An gröberer Artillerie mangelte es aber den Buren vollständig, und die wenigen Feldgeschütze älterer Konstruktion, die General de la Rey zur Verfügung standen, genügten gerade, um die Fortführung der Erdarbeiten an den Wällen zu verhindern.

Daß man trotzdem von Tag zu Tag näher an die Stadt heranrückte, war nur der Überlegenheit der Buren im Gebrauch der Handfeuerwaffen zuzuschreiben, die es ermöglichte, unter ständigen Überfällen nicht nur die Zahl der Verteidiger sehr zu verringern, sondern auch die Parallelen und Traversen ununterbrochen weiter nach vorwärts zu schieben.

Den im Süden der Stadt an der Bahnlinie gelegenen Abschnitt der Angriffslinie befehligte Major Freiherr von Bieberstein, ein früherer preußischer Kavallerieoffizier, der sich mit seinem aus Angehörigen aller Nationen bestehenden Freikorps in Stärke von etwa fünfhundert Mann in den Kämpfen bei Magersfontein[1] hervorragend ausgezeichnet hatte und sich jetzt unter de la Rey an der Einschließung beteiligte, – ein Ruheposten, der dem schneidigen Reiterführer wenig zusagte.

Eines Tages brachte eine Patrouille des Biebersteinschen Freikorps einen Mann ein, der bei dem sofort vorgenommenen peinlichen Verhör angab, daß er allerdings geborener Engländer sei, seit Jahren aber in Transvaal gelebt habe und sich jetzt für die Burenarmee anwerben lassen wolle, da er eines Verbrechens wegen von den englischen Behörden verfolgt werde. Trotzdem auch seine näheren Angaben durchaus glaubhaft klangen und ebenso sein ganzes sicheres Auftreten für ihn sprach, so wurden doch seine Kleidungsstücke auf das genaueste durchsucht, ja selbst das Zaumzeug und der Sattel seines Pferdes, ohne daß man irgend etwas Verdächtiges fand. Dieselbe peinliche Untersuchung wiederholte sich dann vor General de la Rey, der aber sein Mißtrauen gegen den Gefangenen nicht so schnell überwand und ihn dem Major Bieberstein mit der Weisung zurückschickte, den Mann, dessen Papiere auf den Namen Harry Lander lauteten, zwar in das Freikorps einzureihen, ihn jedoch heimlich aufs schärfste überwachen zu lassen und jedenfalls nicht in der vordersten Linie bei den Belagerungsarbeiten[2] zu verwenden, da sich ihm dort zu leicht eine Gelegenheit biete, falls er wirklich ein Spion sei, nach Kimberley hinein zu gelangen. So vergingen mehrere Tage und Siders zergrübelte sich vergebens den Kopf, wie er sich einmal der Besatzung der Stadt in die Hände spielen könnte, und zwar in einer Weise, die nicht den Argwohn erregte, als ob dies absichtlich geschehen sei. Denn daran, seine Depeschen richtig an den Oberst Warren abzugeben, lag ihm nicht allzuviel. Wenn er nur diesen Zweck verfolgt haben würde, so wäre es ihm ein Leichtes gewesen, einmal in der Nacht durch die Vorposten des Korps hindurchzukommen, da er Parole und Feldgeschrei kannte. Doch bedeutend wichtiger war es für die Durchführung seines Planes, daß ihm jederzeit auch die Möglichkeit offen stand, Kimberley wieder zu verlassen und sich seiner Abteilung anzuschließen, ohne den Verdacht auf sich zu lenken, seine Gefangennahme und spätere Flucht sei nichts als ein abgekartetes Spiel gewesen. Außerdem mußte er auch auf jeden Fall zusehen, Brice und van Straaten so bald wie möglich mit Hilfe des Obersten Warren verhaften zu lassen, da jeden Tag zu befürchten stand, daß General de la Rey von dem Oberkommando den Befehl erhielt, abzuziehen, und daß dann nach Aufgabe der Belagerung die beiden Agenten plötzlich verschwinden würden.

Da kam Siders der Zufall ganz unerwartet zu Hilfe. Bei einem mit größter Entschiedenheit


  1. Vorlage: Magerfontein
  2. Vorlage: Belagerungsarbeten
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.). Vereinsbuchdruckerei „Celeja“ in Cilli, Cilli 1914, Seite 2(Nr.19). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Spion_von_Kimberley.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)