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Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.)

(Nachdruck verboten.)
Der Spion von Kimberley.
Erzählung von Walther Kabel.

Im Sommer des Jahres 1899 wurde in der verkehrsreichen Oxford-Street Londons ein neues, mit allem modernen Luxus ausgestattetes Juweliergeschäft eröffnet, dessen reichhaltige Schaufensterauslagen mit den auf dunkelrotem Sammet geschmackvoll gruppierten Perlenschnüren, Brillantringen, Armbändern, Diamantbroschen und in allen Farben schillernden Haarpfeilen und Ohrboutons ein Vermögen von Hunderttausenden repräsentieren mußten. Dafür verschwanden zu derselben Zeit aus der bedeutend weniger vornehmen Berkeley-Street zwei bisherige Konkurrenzfirmen und die Namen ihrer früheren Inhaber fanden sich merkwürdigerweise auf dem großen Glasschild des in der Oxford-Street neugegründeten Ladens als „Siders u. Karst, Juweliere“ in friedlicher Vereinigung wieder.

Den zwischen den beiden Familien seit Jahren bestehenden Geschäftsneid mit seinen unangenehmen Folgeerscheinungen plötzlich in die engsten Beziehungen umgewandelt zu haben, war das unbestrittene Verdienst von Siders einziger Tochter Helena, die sich zunächst mit ihren strahlenden Augen und schelmischen Grübchen in das Herz John Karsts und bald auch in das seiner Eltern so fest eingeschlichen hatte, daß eines schönen Tages das Kriegsbeil zwischen den beiden Familien auf immer begraben und Helena Johns überglückliches Bräutchen wurde, – ein Ereignis, das auch in die verdüsterten Herzen der beiden alten Siders wieder einige Lichtstrahlen warf und den stillen, aber desto tieferen Gram um den Verlust ihres ältesten Kindes etwas milderte.

Es waren damals vor fünf Jahren traurige Zeiten für die in behaglichem Wohlstande und herzlicher Eintracht lebende Familie gekommen, als plötzlich die Verfehlungen Harry Siders bekannt wurden, der sich, verführt durch die Lockungen der Millionenstadt, einem ausschweifenden Leben hingegeben und die hiezu notwendigen, für ihn auf redliche Weise unerschwinglichen Geldmittel der Kasse seines Prinzipals entnommen hatte, bei dem der kaum Dreiundzwanzigjährige eine Vertrauensstellung als zweiter Kassier bekleidete. Und dieser Schlag traf die armen Eltern um so schwerer, als sie gehofft hatten, dem Sohne dieselben streng rechtlichen Ansichten anerzogen zu haben, nach denen ihr eigenes Leben und Streben in jeder Beziehung eingerichtet war. Harry Siders verschwand damals urplötzlich aus London und nie wieder war ein Lebenszeichen von ihm in die Berkeley-Street gelangt.

All die Liebe, die der schwergeprüfte Vater für den jetzt Verschollenen empfunden hatte, übertrug er auf John Karst, dem er das Glück seiner Tochter anvertraute. Und so sehr glaubte er auch an die Geschäftstüchtigkeit seines neuen Schwiegersohnes, daß er sich mit dessen Plan, die Firmen zu vereinigen und die Londoner durch die Eröffnung eines selbst den verwöhntesten Ansprüchen genügenden Geschäftes zu überraschen, vollständig einverstanden erklärte, ebenso auch mit der Absicht, daß „Siders u. Karst“ sich ausschließlich dem Handel mit Edelsteinen und wertvollen Perlen widmen und einen vornehmen und jeder Mode Rechnung tragenden Geschmack in der Goldschmiedekunst nur durch die Herstellung eigenartiger, künstlerischer Fassung für ihre Waren beweisen sollten. Und schon die Einnahmen in den ersten Monaten des Bestehens der neuen Firma zeigten, wie richtig die Spekulation des jungen Karst gewesen war.

Um nun ihren Bedarf an kostbaren Steinen möglichst billig einzukaufen und nicht die teuren Händlerpreise auf den Weltmärkten in Amsterdam und Brüssel zahlen zu müssen, beschloß man, einen langjährigen, erprobten Angestellten von Karst, namens Edward Brice, nach Südafrika zu senden, wo gerade infolge des drohenden Burenkrieges die Preise für Diamanten plötzlich bedeutend gefallen waren und sich besonders in den Minen von Kimberley die günstigste Gelegenheit zu vorteilhaftem Einkauf

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Spion von Kimberley (Die Südmark. Nr. 17–20.). Vereinsbuchdruckerei „Celeja“ in Cilli, Cilli 1914, Seite 1(Nr.17). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Spion_von_Kimberley.pdf/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)