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Walther Kabel: Der Mann mit dem Kautschukgesicht (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3)

ein Brief ohne Unterschrift in die Hände, der offenbar von Frauenhand stammte und dunkle Andeutungen über einen gegen Napoleon III. geplanten Mordanschlag enthielt. Man übertrug Duperdin die nötigen Ermittlungen. Das Schreiben wies auf eine übelberüchtigte Kneipe im Montmartreviertel hin, in der seit langem fast nur Italiener verkehrten; dort, im „Lustigen Jakobiner“, würde man alles erfahren. Duperdin setzte nun eine ganze Komödie ins Werk, um sich das Vertrauen des Wirtes zu sichern. Verkleidet als ein gewisser Perigod, der vor drei Monaten ein Londoner Bankhaus beraubt und bisher nicht hatte ergriffen werden können, ging er in die Kneipe, nahm den Besitzer beiseite, offenbarte sich ihm als der steckbrieflich Verfolgte und bot eine hohe Summe, falls er sicheren Unterschlupf hier finden könne. Auf Fragen des Wirtes, wie er dazu käme, sich ihm anzuvertrauen, erzählte Duperdin allerlei überzeugende Geschichten und nannte einen italienischen Gipsfigurenhändler in London, der ihn an den „Lustigen Jakobiner“ verwiesen als sichersten Ort für die Stunde der Not. Der Wirt blieb zurückhaltend, bis Perigod-Duperdin eine Londoner Zeitschrift hervorholte, worin er abgebildet war, und so den Mißtrauischen überzeugte, daß er wirklich der gesuchte Einbrecher sei, auf dessen Ergreifung fünfhundert Franken Belohnung gesetzt waren. Nun saß der falsche Perigod im „Lustigen Jakobiner“, wo ihm bald auszukundschaften gelang, was zu wissen nötig war. Der Führer der gegen das Leben des Kaisers gerichteten Verschwörung war ein gewisser Pianori, von dem der Plan stammte, bei der Fahrt zur Truppenschau am 28. April nach Napoleon eine Bombe zu werfen.

Als Duperdin über die Absichten der Italiener, die alle zu einer Geheimgesellschaft gehörten, im klaren war, fing er an dem Wirt beweglich zu klagen, daß er sich in Paris nicht mehr sicher fühle und versuchen wolle, nach Amerika zu entkommen. Der angebliche Perigod verschwand, und fünf Tage später, noch ehe der Kaiser zur Truppenbesichtigung aufbrach, wurden vier der Verschworenen auf der Straße verhaftet, darunter auch Pianori, bei dem sich zwei Wurfbomben fanden. Das Gericht

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Walther Kabel: Der Mann mit dem Kautschukgesicht (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Mann_mit_dem_Kautschukgesicht.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)