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Friedrich Gerstäcker: Der Herr von der Hölle. Eine zweifelhafte Geschichte.

Er hielt jetzt einen Moment in seiner Arbeit inne, um sich zu überlegen wie er dies Hinderniß am besten überwinden könne. Es war auch in der That nicht so leicht und er dachte gerade daran, sich vielleicht einen bequemeren Baum auszusuchen, als er plötzlich zusammenschrak; denn dicht und unmittelbar neben sich hörte er eine Stimme, die mit der größten Ruhe und Unbefangenheit sagte:

„Der Baum ist ein bischen unbequem – Sie hätten sich einen etwas niedrigeren Ast aussuchen sollen. Ich glaube der dort drüben wäre besser geeignet.”

Der Selbstmörder fuhr, wie von einer Natter gestochen herum und sah, unter den Bäumen, aber gerade von einem Strahl des hindurchbrechenden Mondlichtes getroffen, die Gestalt eines anständig gekleideten Herrn, der dort mit dem Rücken an dem Stamm einer Kastanie lehnte und allem Anschein nach schon dort gewesen sein mußte, als er selber den Platz betrat; denn die Schritte eines Nahenden hätte er jedenfalls gehört. Der aber doch zur Verzweiflung getriebene junge Mensch war nicht in der Stimmung, Rücksicht auf irgend Jemanden zu nehmen. Was hatte der Lauscher hier zu thun? ihn an seinem Vorhaben zu verhindern? Die Folgen über ihn, und mit seiner rechten Hand blitzesschnell in die Tasche greifend, zog er ein kleines Einschlagmesser heraus, öffnete dasselbe rasch und sagte dann mit drohender Stimme:

„Was wollen Sie hier? Wie sind Sie hierhergekommen? Beim Himmel, wenn Sie versuchen wollten mich hier zu stören, so haben Sie sich an den falschen Mann gewandt. Wo ich im Begriff bin mein eigenes Leben in die Schanze zu schlagen, können Sie sich wol denken, daß ich keine Rücksicht auf das eines Fremden nehme. Fort von hier! Wenn Sie nur den geringsten Versuch machen sollten mir zu nahen, so renne ich Ihnen dies Messer in den Leib.”

„Aber, verehrter Herr“, sagte der Fremde, ohne sich durch die Drohung einschüchtern zu lassen, oder auch nur eine Bewegung zu machen, als ob er dem Gebot Folge leisten wolle, „ich habe nicht die entfernteste Absicht Sie zu stören, oder Ihnen in einem guten Vorsatz hinderlich zu sein. Ich stehe Ihnen im Gegentheil mit Vergnügen zu Diensten, wenn ich Ihnen dabei in irgend Etwas nützen kann.”

Der Unglückliche betrachtete ihn noch immer mißtrauisch. Es war eine nicht übermäßig große, schlanke Gestalt mit regelmäßigen, aber blassen Gesichtszügen – oder gab ihm nur das grelle Mondlicht diese Färbung? Nach der neuesten Mode gekleidet, quollen unter seinem Cylinderhut volle, rabenschwarze Locken vor und indem er jetzt den leichten Ueberrock zurückschlug – als ob ihm etwas warm darunter würde, zeigten sich verschiedene bunte Decorationen auf seiner Brust. Er gehörte jedenfalls den höheren – wenigstens den bevorzugten Ständen an.

„Ich verstehe Sie nicht”, sagte der Unglückliche, nachdem er den Fremden ein paar Momente in düsterem Schweigen betrachtet hatte; „Sie wollen mir helfen, meinem Leben ein Ende zu machen, das ich nicht im Stande bin länger zu ertragen? Weshalb?"

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Friedrich Gerstäcker: Der Herr von der Hölle. Eine zweifelhafte Geschichte. A. H. Payne, Leipzig 1870, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Herr_von_der_Hoelle-Gerstaecker-1870.djvu/3&oldid=- (Version vom 14.2.2021)