Friedrich Gerstäcker: Der Herr von der Hölle. Eine zweifelhafte Geschichte. | |
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was wenigstens sein physisches Selbst betraf. Er war dick und rund geworden, trug einen kleinen, aber sehr buschigen Schnurrbart, leinene Vorhemdchen und papierne Vatermörder, sah also immer sehr reinlich aus und zeigte einen nicht unbedeutenden Ansatz zu einer mühsam erworbenen rothen Nase.
„Wo waren Sie denn bis halb drei Uhr“, sagte Herr Köser, der insofern Interesse daran nahm, als Herr Lerche schon seit fünf Jahren als Gatte seiner Schwester sein Schwager und dabei „stummer” Theilhaber des Geschäfts geworden.
„Wo ich war?“ sagte Guido – „Bomeier gab ein famoses Champagner-Souper nach dem Theater und wir haben uns köstlich amusirt. Ist ein ganz famoser Kerl.“
„Sind Sie mit der Recension fertig?”
„Gewiß.“
„Darf ich Sie bitten?”
Lerche reichte ihm das Blatt hinüber und Herr Köser warf kaum den Blick darauf, als er ausrief:
„Aber, bester Lerche – Sie reißen ja das Stück furchtbar herunter und es hat ausgezeichnet gefallen! Der Autor ist beinah nach jedem Act gerufen und der Regisseur hatte alle Hände voll zu thun, ihn nur zu entschuldigen. Das Publicum war ganz außer sich.”
„Lieber Schwager“, sagte Herr Lerche verächtlich, „thun Sie mir den einzigen Gefallen und nennen Sie mir nur gar nicht das Wort Publicum. Was ist Publicum? Eine Masse, die Entrée bezahlt, um das Institut zu erhalten und sich ein paar Stunden Abends zu amusiren. Für ihr Eintrittsgeld haben sie dann allerdings Sitz, aber wahrhaftig keine Stimme und mit Ihrer Erfahrung müssen Sie doch lange schon wissen, daß eine solche Masse wol steuerpflichtig sein kann und sein muß, aber nie die geringste Rücksicht auf ihr Urtheil verlangen darf.“
„Aber der Autor hat einen so bekannten Namen“, sagte Herr Köser, doch noch nicht vollständig überzeugt.
„Und was thut das?“ rief Herr Lerche. „Das Urtheil über dramatische Productionen haben wir in der Hand, nicht das Publicum und wer ist der Autor überhaupt? Kennen wir ihn? Hat er es auch nur der Mühe werth gefunden, uns einen Anstandsbesuch zu machen? – he?“
„Das allerdings“, sagte Herr Köser.
„Gut“, bemerkte Herr Lerche, „den Herren müssen wir wenigstens Lebensart lehren und sie davon überzeugen, daß sie ohne uns Nichts sind – nachher werden sie gehen und fressen aus der Hand. Ueberlassen Sie das mir, Schwager. Ich weiß, wie man mit derartigem Gelichter umspringen muß.”
Herr Köser hatte indessen die Recension über das gestern gegebene Stück weiter verfolgt. – „Hm“, sagte er dabei – „Bomeier wird damit zufrieden sein – kann nicht mehr verlangen, aber – haben Sie sich da verschrieben? – Was bedeutet denn der letzte Satz?“
„Welcher?“
Friedrich Gerstäcker: Der Herr von der Hölle. Eine zweifelhafte Geschichte. A. H. Payne, Leipzig 1870, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Herr_von_der_Hoelle-Gerstaecker-1870.djvu/24&oldid=- (Version vom 14.2.2021)