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mit welcher die Generalversammlung der Actionäre am 20. Februar 1869, im wohlverstanden Interesse der Gesellschaft und in Anerkennung der Nothwendigkeit und Nützlichkeit für den durchgehenden ungehinderten Verkehr sowohl, als auch der erwiesenen Rentabilität und leichten Herstellung der Bahn die Ausführung derselben unter der Bedingung der staatlichen Zinsgarantie mit Einstimmigkeit beschlossen – trotzdem, daß die genannte Gesellschaft neuerdings wieder die bestimmte Erklärung abgegeben hat, es werde, bei einigem Entgegenkommen der Regierung, die Ausführung der Bahn seitens der Gesellschaft auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen, trotzdem ist unsere hochwichtige Angelegenheit noch um keinen Schritt weiter vorgerückt, und noch immer befindet sich die Bevölkerung des oberen Lahngebiets in allen ihren Verhältnissen auf abschüssiger Bahn. Der ungewisse Zustand, das fortwährende Hinausschieben der Ausführung des Bahnprojects schädigt aber unsere Bevölkerung doppelt, indem andere, von der Staatsregierung selbst für nothwendig erkannte gemeinnützige Unternehmungen Lahnregulirung.grade wegen des Bahnprojects unausgeführt bleiben oder verschoben werden müssen. So wird schon seit Jahren die Regulirung des in starken Gefällen höchst unregelmäßig laufenden Lahnflusses erstrebt. Durch Ausführung dieses Unternehmens wird das Emporblühen des oben erwähnten landwirthschaftlichen Erwerbszweigs (Viehzucht) bedingt, da die Regulirung der Lahn die erste Voraussetzung der Verbesserung der Wiesencultur bildet. Nun sind zwar von Seiten der Regierung Einleitungen dieserhalb getroffen, allein weil sie es aus technischen und ökonomischen Gründen als höchst zweckmäßig ansieht, die Lahnregulirung mit der Ausführung des Eisenbahnprojects in Verbindung zu bringen, so hat sie (im Mai d. J.) ausgesprochen, die Lahnregulirung möge so lange unterbleiben, bis über die Erbauung der Eisenbahn Abnahme der
Bevölkerung und der
Steuerkraft.
definitiv entschieden sei. Ist es daher auch aus diesem Grunde geboten, endlich hierzu zu schreiten, so kommt noch weiter in Betracht, daß die Population, nach den amtlichen statistischen Aufzeichnungen, von Jahr zu Jahr abgenommnen und die Steuerkraft sich vermindert hat. Gründliche Verarmung und vollständiger Ruin stehen daher drohend in naher Ferne.

Noch ist zwar nicht Alles verloren; noch kann geholfen werden. Soll aber Hilfe kommen, so muß sie in der angegebenen Weise und rasch kommen, und ebenso rasch werden sich dann die gesunkenen Verhältnisse wieder heben, Lebensmuth und Frische wird die gedrückten Bewohner wieder erfüllen Zinsgarantie
oder anderweite
Staatsbeihilfe.
und gesicherte Existenz und Wohlstand werden Armuth und Elend verdrängen. Und was ist es, das wir von unserer Staatsregierung verlangen, um das drohende Unheil von uns abzuwenden und das Hinterland mit seinen Naturschätzen zu einem reichen, steuerkräftigen Landstrich zu machen? Nichts, als eine kleine Staatshilfe, eine Zinsgarantie, oder irgend welche andere Unterstützung, welche uns die Bahn ermöglicht und die bei der Wichtigkeit dieser Bahn für das öffentliche Interesse überhaupt nicht in Anschlag kommen kann, jedenfalls aber auch in erheblichem Maße nicht in Anspruch genommen werden wird. Sollte das Letztere dennoch der Fall sein, so steht zu erwarten, daß die dem Staate erwachsende Zubuße durch die ganz sicher eintretende Preissteigerung des Holzes aus den hier vorfindlichen sehr bedeutenden Domanialwaldungen völlige Ausgleichung findet. Mochten frühere Finanzverhältnisse des Staates vielleicht auch darauf hingewiesen haben, daß das Abgeordnetenhaus in seiner Mehrheit von der Genehmigung staatlicher Zinsgarantien überhaupt mehr und mehr absehen zu müssen glaubte, so ist doch jetzt die Sachlage eine andere. Jetzt nach der glücklichen Beendigung des ruhmreichsten Krieges, an welchem auch unsere Söhne gerne und freudig so wackeren Antheil genommen, jetzt, nachdem Ein großes, deutsches Vaterland erstanden, in dem Jeder der Segnungen des Friedens sich erfreut, sollen wir denn auch jetzt immer noch durch Vertröstungen und Versprechungen, dem Grabgeläute unseres Glückes, hingehalten werden, oder sollen auch für uns endlich einmal die heißesten, berechtigtesten Wünsche in Erfüllung gehen und glücklichere Tage uns dämmern?

Der Staat – wir wiederholen es – hat die moralische Verpflichtung, uns hier die Hand zu reichen; er hat sie nicht nur als Erbe der Versprechungen unserer früheren Regierung, sondern namentlich auch als Ehrenschuldner der seinigen, und das Abgeordnetenhaus wird wahrlich nicht die Hand dazu bieten wollen, daß durch Verweigerung der Genehmigung dieser Zinsgarantie oder irgend welcher Staatsbeihilfe ein großer Landstrich mit seiner thätigen Bevölkerung am Boden gehalten und für alle Zeiten in namenloses Elend gestürzt werde.

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J. Heinzerling: Denkschrift betreffend die Lenne-Lahn-Bahn. Biedenkopf o. J., Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Denkschrift_betreffend_die_Lenne-Lahn-Bahn.djvu/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)