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     Die Breite nimmt also vom Karbon bis zur Trias zu, dann bis zum Eozän ab und von da bis zum Quartär wieder zu. Die größte Breite erreichte Leipzig wohl erst im mittleren Quartär.

     Andererseits lehrt die Geologie, daß vom Karbon bis zum Beginn der Jurazeit im allgemeinen Regression in Europa herrschte; dann aber setzen große Transgressionen ein, die das Jurameer und Kreidemeer schaffen und noch bis zum Eozän einen großen Teil Europas unter Wasser halten. Und von da ab beginnt wieder eine auffallende Regression, die zur gänzlichen Trockenlegung Europas führte. Selbst der schließlichen geringen Breitenabnahme seit dem Quartär scheinen wieder gewisse Transgressionserscheinungen zu entsprechen. Jedenfalls stimmt in großen Zügen die Regel gut, was hier besonders ins Gewicht fällt, weil Europa der bestuntersuchte Kontinent ist. Auch diese Probe scheint also zu zeigen, daß Polwanderungen tatsächlich mit Verlagerungen der Erdachse im Erdinnern verbunden sind. —

     Wir wollen schließlich noch kurz die Frage streifen, ob die Erdachse auch astronomische Verlagerungen, d. h. Schwankungen relativ zum System der Fixsterne, ausführt und ausgeführt hat.

     Daß solche Schwankungen gegenwärtig existieren, ist aus der Astronomie bekannt. Am längsten kennt man die Präzessionsbewegung, vermöge deren sich der Pol in 26000 Jahren um den Pol der Ekliptik herumbewegt, ohne daß dabei die Neigung der Erdachse zur Erdbahn, das ist die Schiefe der Ekliptik, verändert wird. Die noch dazutretende kleine Nutationsschwankung kommt in diesem Zusammenhang wegen ihres geringen Betrages nicht in Betracht. Aber außerdem zeigen die Störungsrechnungen, daß auch die Schiefe der Ekliptik nahezu periodische Schwankungen im Ausmaß mehrerer Grade mit einer Periode von etwa 40000 Jahren ausführt, die trotz ihrer Kleinheit im Laufe des Quartärs in Verbindung mit entsprechenden Änderungen der Perihellänge und der Bahnexzentrizität von maßgebendem Einfluß bei der Entstehung der Wechselfolge von Eis- und Interglazialzeiten geworden sind.

     Wir dürfen annehmen, daß diese Schwankungen der Ekliptikschiefe die ganze Erdgeschichte hindurch angedauert haben und dabei auf das Klima von ähnlicher Wirkung gewesen sind wie in der Quartärzeit. Wenn man z. B. neuerdings bei der permokarbonen Vereisung Spuren wiederholter abwechselnder Vorstöße und Rückzüge des Eises gefunden hat, die sich wohl durch weitere Untersuchungen noch vermehren werden, so ist es sehr wahrscheinlich,

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Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)