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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

unrichtigen Begriffen, und einer einseitigen Vorstellungsart. Wo wir zu weit zurückbleiben eilten sie zuweit vor. Wenn unsre Gesetzgeber unrecht gethan haben, daß sie moralische Pflichten und Sitten ganz vernachläßigten, so hatten die Gesetzgeber der Griechen darin Unrecht, daß sie moralische Pflichten mit dem Zwang der Gesetze einschärften. Zur moralischen Schönheit der Handlungen ist Freiheit des Willens die erste Bedingung, und diese Freiheit ist dahin, sobald man moralische Tugend durch gesetzliche Strafen erzwingen will. Das edelste Vorrecht der Menschlichen Natur ist, sich selbst zu bestimmen, und das Gute um des Guten willen thun. Kein bürgerliches Gesetz darf Treue gegen den Freund, Großmuth gegen den Feind, Dankbarkeit gegen Vater und Mutter zwangsmäßig gebieten, denn sobald es dieses thut, wird eine freye moralische Empfindung in ein Werk der Furcht, in eine sklavische Regung verwandelt.

Aber wieder auf unsern Solon zurückzukommen.

Ein Solonisches Gesetz verordnet, daß jeder Bürger, die Beleidigung die einem andern wiederführe, als sich selbst angethan, betrachten, und nicht ruhen solle, bis sie an dem Beleidiger gerochen sey. Das Gesetz ist vortreflich wenn man seine Absicht dabey betrachtet. Seine Absicht war jedem Bürger warmen Antheil an allen übrigen einzuflößen, und alle miteinander daran zu gewöhnen, sich als Glieder eines zusammenhängenden Ganzen anzusehen. Wie angenehm würden wir überrascht werden, wenn wir in ein Land kämen,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_071.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)