Seite:De Thalia Band2 Heft6 085.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält

man gehe mit ehrerbiethiger Resignation daran vorüber, ohne sich der Gefahr auszusetzen, in seinen Labyrinthen zu verirren. Eine bigotte, knechtische Erziehung war die Quelle dieser Furcht; diese hatte seinem zarten Gehirne Schreckbilder eingedrückt, von denen er sich während seines ganzen Lebens nie ganz losmachen konnte. Religiöse Melancholie war eine Erbkrankheit in seiner Familie; die Erziehung, welche man ihm und seinen Brüdern geben ließ, war dieser Disposition angemessen, die Menschen, denen man sie anvertraute, aus diesem Gesichtspunkte gewählt, also entweder Schwärmer oder Heuchler. Alle Lebhaftigkeit des Knaben in einem dumpfen Geisteszwange zu ersticken, war das zuverlässigste Mittel, sich der höchsten Zufriedenheit der fürstlichen Aeltern zu versichern. Diese schwarze nächtliche Gestalt hatte die ganze Jugendzeit unsers Prinzen; selbst aus seinen Spielen war die Freude verbannt. Alle seine Vorstellungen von Religion hatten etwas Fürchterliches an sich, und eben das Grauenvolle und Derbe war es, was sich seiner lebhaften Einbildungskraft zuerst bemächtigte und sich auch am längsten darin erhielt. Sein Gott war ein Schreckbild, ein strafendes Wesen; seine Gottesverehrung knechtisches Zittern oder blinde, alle Kraft und Kühnheit erstickende Ergebung. Auf allen seinen kindischen und jugendlichen Neigungen, denen ein derber Körper und eine blühende Gesundheit um

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_085.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)