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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

durch die Elemente der Zeit ihm entgegen kriechen. Einen Genuß zu erschöpfen muß er jeden andern verloren geben, zwo unumschränkte Begierden sind seinem kleinen Herzen zu groß. Jede neuerworbene Freude kostet ihn die Summe aller vorigen. Der jezige Augenblik ist das Grabmal aller vergangenen. Eine Schäferstunde der Liebe ist ein aussezender Aderschlag in der Freundschaft.

Wohin ich ich nur sehe Raphael, wie beschränkt ist der Mensch! Wie groß der Abstand zwischen seinen Ansprüchen und ihrer Erfüllung! – O beneide ihm doch den wohlthätigen Schlaf. Weke ihn nicht. Er war so glüklich, bis er anfieng zu fragen, wohin er gehen müsse, und woher er gekommen sei. Die Vernunft ist eine Fakel in einem Kerker. Der Gefangene wußte nichts von dem Lichte, aber ein Traum der Freiheit schien über ihm wie ein Bliz in der Nacht, der sie finstrer zurükläßt. Unsre Philosophie ist die unglükseelige Neugier des Oedipus, der nicht nachließ zu forschen, bis das entsezliche Orakel sich auflößte.

Möchtest du nimmer erfahren, wer du bist!

Ersezt mir deine Weisheit, was sie mir genommen hat? Wenn du keinen Schlüssel zum Himmel hattest, warum mußtest du mich der Erde entführen? Wenn du voraus wußtest, daß der Weg zu der Weisheit durch den schreklichen Abgrund der Zweifel führt, warum wagtest

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_109.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)