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ihm Aufschlüsse über eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefühl von Selbstständigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des Zwanges, von Gesetz und Willkühr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spürt? Wie das alles? Seine Beamte klären ihn nicht auf und er selber – er liest nicht, er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er läßt sich auch nicht vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht über seinen Horizont, läßt sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum einen Begriff, seine Sprache kein analoges Wort dafür. Armer Bauer. Und wenn Wunder geschähen und die tausend Stimmen der Zeit, die für dich und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich verwandelten und ergößen in eine göttliche Stimme, die vom Himmel riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle – du würdest liegen bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.

Wie er seine Acker vortheilhafter bestellen, seine Geräthe brauchbarer einrichten, nützlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses und jenes haben könne, das lehren ihn Blätter und Schriften, von Gesellschaften oder Einzelen herausgegeben, vergebens: er liest sie nicht. Schlägt man ihm sonstige Verbesserungen und Veränderungen vor, so schüttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. Dat geit nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich; unglückselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht ihr täglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der Trägheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit dieser vereint, durch diese gestärkt allem Neuen und Bewegenden Feindschaft erklärt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese Eselsbrücke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die einzig mögliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Ludolf Wienbarg: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?. Hoffmann und Campe, Hamburg 1834, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Platt_pflegen_(Wienbarg)_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)