Seite:De Neue Thalia Band4 071.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

fängt an, uns zu interessieren, sobald er Glück und Leben wagen muß, um seinen schlimmen Willen durchzusetzen; ein Tugendhafter hingegen verliert in demselben Verhältniß unsre Aufmerksamkeit, als seine Glückseligkeit selbst ihn zum Wohlverhalten nöthigt. Rache, zum Beyspiel, ist unstreitig ein unedler und selbst niedriger Affekt. Nichts desto weniger wird sie ästhetisch, sobald sie dem, der sie ausübt, ein schmerzhaftes Opfer kostet. Medea, indem sie ihre Kinder ermordet, zielt bey dieser Handlung auf Jasons Herz, aber zugleich führt sie einen schmerzhaften Stich auf ihr eigenes, und ihre Rache wird ästhetisch erhaben, sobald wir die zärtliche Mutter sehen.

Das ästhetische Urtheil enthält hierinn mehr wahres, als man gewöhnlich glaubt. Offenbar kündigen Laster, welche von Willensstärke zeugen, eine größere Anlage zur wahrhaften moralischen Freyheit an, als Tugenden, die eine Stütze von der Neigung entlehnen, weil es dem consequenten Bösewicht nur einen einzigen Sieg über sich selbst, eine einzige Umkehrung der Maximen kostet, um die ganze Consequenz und Willensfertigkeit, die er an das Böse verschwendete, dem Guten zuzuwenden. Woher sonst

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_071.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)