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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

noch gar nicht kennt, den darf nur Amor ergreifen, um ihn sogleich zum Dichter zu machen. Was brauchen wir mehr, um uns zu überzeugen, daß Amor ein vorzüglicher Künstler [1] sey, besonders in allem, was Werke der schönen Künste betrift; wie könnte er sonst andern geben und andere lehren, was er selbst nicht hat und nicht kennt? Wer kennt aber nicht Amor als den Lehrmeister einer andern Kunst, durch welche alles Lebende sein Daseyn erhält? Und überdieß, wissen wir nicht seinen Einfluß auf alle Meisterwerke der Kunst? Welchem Künstler, den er begeistert, gelingt nicht ein Werk zur Unsterblichkeit? Welcher, den er verlassen, erhob sich über die unterste Stufe? Apollo ist zwar der Erfinder der Bogenkunst, der Medicin und der Mantik; aber hat nicht Liebe und Leidenschaft ihn zu seiner Entdeckung geleitet? Also auch er ist Amors Schüler; wie in der Erfindung der schönen Künste, die Musen; in der Bearbeitung der Metalle, Vulkan; in der Weberey, Minerva; und Jupiter in der Regierung der Götter und Menschen. Daher kamen auch die Götter mit ihren Sachen nicht


  1. Agathon spielt hier mit dem Worte Poet, das in seiner Sprache, zugleich Dichter und Schöpfer oder überhaupt einen der etwas macht, bedeutet. Diese Spielerey muß freylich in der Uebersezung zum Theil verloren gehen, weil wir kein Wort haben, das eben diesen Doppelsinn ausdrükt.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)