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Österreichs, der sich sein Volk noch in ganz anderem Sinne als eine colluvies populorum denkt, an der nicht nur Franken, Baiern und Alemannen, sondern auch Kelten, Karnen und Taurisker Anteil haben.[1]

Im ganzen wie im einzelnen scheint dann speziell das Werk Über die Völkerwanderung Lazius als Schüler des Rhenanus zu erweisen. Schon die Disposition nach Stämmen oder Stammgruppen und innerhalb derselben das Aufsuchen von Wanderungsabschnitten ruft uns die Disposition des Rhenanus ins Gedächtnis. Noch mehr einzelnes: Rhenanus hatte aus Sidonius und Ammian einen Stammestypus des Franken, Sachsen, Goten zur Völkerwanderungszeit zu gewinnen gesucht, Lazius sucht diese Vorstellungen so zu verdichten, daß er jedem seiner elf Bücher eine Abbildung voraufstellen kann, die uns den Franken mit der Streitaxt, den Sueven mit dem zurückgebundenen Haarschopf, den Goten mit der Speerstange usw. zeigt. Rhenanus hatte auf deutsche Lehnwörter im Französischen hingewiesen und Versuche gemacht, altgermanische, aber auch gallische Personen- und Ortsnamen im Deutsch seiner Zeit wieder zu finden. Lazius hat die Lehnwörter zusammengestellt[2] und ist kaum vor einer Namenserklärung zurückgeschreckt. Vor allem aber scheint er sich den Quellenbegriff seines Lehrmeisters angeeignet zu haben: die Volksrechte sind auch bei ihm Sprach- und Kulturdenkmäler, auch er hat Konzilsakten als Quellen für das Vorhandensein oder die Ausdehnung alter Bischofssitze benutzt[3] und Urkunden reichlich herangezogen, er hat endlich neben die Otfriedzitate seines Vorbildes eine stattliche Reihe altdeutscher Sprachproben gestellt, die seinem Buch eine besondere Stellung in der Geschichte der germanischen Philologie verschafft haben.[4]

Aber im ganzen hat er etwas völlig anderes geschaffen als Rhenanus. Statt der klaren und einfachen Linien der drei Bücher deutscher Geschichte erblicken wir ein verwirrendes Durcheinander, statt der sparsamen, absichtlich Lücken lassenden Aufstellungen einen babylonischen Turmbau, von dem denn auch heute kein Stein mehr auf dem andern geblieben ist. Es war recht ein Ding für die maßlose Phantasie Johann Fischarts, der aus dem dicken Folianten „Eikones veteris Germaniae heroum“ gezogen und übersetzt hat.[5]

Dieser Unterschied gegen Rhenanus kommt zunächst daher, weil Lazius gewöhnlich mehr wissen will wie Rhenanus, fast stets zuviel. Es ist selten, daß er eine so glückliche Ergänzung findet, wie das Bild des fränkischen Königs auf dem Ochsenwagen, das er aus Einhards berühmter Schilderung gewinnt, zu dem fränkischen Krieger mit


  1. [268] 215) S. o. Anm. 212. Über die Völker, von denen nach seiner Meinung eigentlich oder vorzugsweise die Österreicher abstammen, hat sich Lazius nicht immer gleichmäßig in den Gentium migrationes ausgesprochen, z B. 455: Austriaci nos a Suevis descendimus, aber 673: effigies posteritatis omnium conditionum ex Francis, Boiis, Suevis et Marcomannis conflatae, s. a. S. 627 ff.
  2. [268] 216) l. c. 57 und 76.
  3. [268] 217) l. c. 472.
  4. [268] 218) S. die Zusammenstellung bei Raumer, Gesch. d. germ. Philol. 27.
  5. [268] 218a) S. Fischarts Werke ed. Hauffen I, LXV ff. Daselbst ein Faksimile der hslichen Übersetzung Fischarts aus Lazius. Die Autorschaft der Eikones scheint allerdings strittig zu sein, s. F. Gotthelf, Das dte. Altertum in den Anschauungen des 16. u. 17. Jhdts. 28.