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Wie aus diesen Worten, so sehen wir auch sonst, daß Rhenanus sich mit seinen besten Bestrebungen unter seinen Zeitgenossen einsam fühlte. Er weiß wohl, welche Kluft ihn von der älteren Geschichtsschreibung trennt. Wenn er mit Gebwiler oder Paul Voltz von den Tribokern redet, dann schauen sie ihn an, als ob er von Träumen spreche. Das kommt, meint er, weil sie nicht über Karl den Großen oder Dagobert oder Chlodwig hinaus ins deutsche Altertum vorgedrungen sind.[1] Und Gebwiler hatte sich doch erst 1519 bemüht, dahin vorzudringen! Aber auch Nauklerus und Krantz finden bei Rhenanus keine Gnade, sie haben die guten Autoren nicht aufgeschlagen oder nicht verstanden. Das steht freilich nur in Briefen, nicht in dem Geschichtswerk, denn hier hat sich Rhenanus offenbar zum Grundsatz gemacht, nicht namentlich gegen Gegner zu polemisieren. Aber es geht auf Krantz, wenn er von Leuten spricht, die Arbeitskraft und Wagemut haben, aber kein Urteil, und eine andere Stelle spricht von dem vulgus historicorum.[2] Als ihm Paul Phrygio 1533 von dem Plane einer Weltchronik sprach, hat er das sehr ironisch aufgenommen. Und wenn er in den Res Germanicae niemand angreift, so lobt er auch niemand, auch dies ganz gegen den Brauch der Zeit. Wiederum wissen wir nur aus dem Briefwechsel, daß er Aventin als ebenbürtigen Kenner deutscher Vorzeit betrachtete und daß er Michael Hummelberg manche gute Bemerkung, wie etwa die über die Lage von Arbor Felix, verdankte.[3] Aber der Hauptgrund der Sonderstellung des Rhenanus ist doch, daß seine Methode grundsätzlich von der seiner meisten Zeitgenossen verschieden war. Mit dieser Methode steht er eigentlich schon in der Zeit, wo der Humanismus Philologie geworden ist, Philologie im Sinne von Scheidekunst. Er trennt die fränkischen Centenare von denen, die Tacitus nennt, die fränkischen duces von den Herzogen seiner Zeit. Blicken wir zurück bis auf Meisterlin, der den Nürnbergern seiner Zeit gern noch die Rechte einer colonia Romanorum zugesprochen hätte, so sehen wir ganz den Unterschied. Aber in diesem Punkte war Meisterlin fast mehr Humanist als er. Was Rhenanus anstrebte, die leidenschaftslose Betrachtung der deutschen Vergangenheit als eines toten Objekts gelehrter Forschung – es ist bedeutsam, daß auch diese Zeit ihm eine „antiquitas“ ist – das konnte und wollte der deutsche Humanismus nicht. Das vor allem hat ihn von dem Plan der Germania illustrata im Sinne der Celtisschule abgetrieben, das trennte ihn, mehr als er wohl selbst gesehen hat, von Aventin. –


  1. [265] 178) Brief an Aventin in Aventins WW. VI, 87.
  2. [265] 179) Res Germ. 33, 114, 124.
  3. [265] 180) Bfwechsel 317, 321, dazu Res Germ. 5.