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Das Frankenreich zerfällt nach langem Bestehen, da die germanischen Franken in Gallien aufgesogen werden und es den deutschredenden Stämmen unwürdig dünkt, einem Imperium Gallicanum unterworfen zu sein. So kommt die Krone an die Sachsenherrscher, es entsteht ein Germanicum regnum, und da Otto I. dies machtvoll zu behaupten und seine Grenzen über Burgund und Italien zu erweitern weiß, das Imperium Romanum. Mit den Sachsenherrschern aber tritt noch eine andere wichtige Veränderung ein: die von den Franken unterdrückte Freiheit lebt wieder auf, und zwar werden nicht nur die Stämme frei, sondern auch die Städte. Sie blühen auf und erscheinen als feste Bollwerke im Lande. Zur Freiheit aber kommt der Schmuck der Gesittung und der Bildung. Und endlich – so muß man den Zusammenhang, den Rhenanus hier verschweigt, wohl ergänzen – ist die alte germanische Wildheit gebrochen, ein Friede für das Elsaß, wie ihn Große und Städte unter dem Schutze Papst Leos IX. schließen[1], verkündet die neue Zeit. –

Damit läßt Beatus Rhenanus den Faden historischer Erzählung fallen. Was noch folgt – fast die Hälfte des zweiten Buchs und das ganze dritte – läßt sich unter drei Gruppen bringen: es sind entweder kulturhistorische Exkurse oder kritische Besprechungen einzelner Quellenstellen oder endlich Versuche, eine Topographie des römischen Südwestdeutschlands festzulegen. Die Versuche führen zweimal – bezeichnenderweise bei Basel und Schlettstadt – zu einem Abriß der Stadtgeschichte und einer Stadtbeschreibung. Es sind diejenigen Stücke, in denen sich das Erzählertalent des Rhenanus im besten Lichte zeigt, zugleich neben ein paar Notizen, wie die über den „Apelles von Colmar“, die einzigen, die an den alten Plan der Germania illustrata oder besser einer Alsatia illustrata erinnern. Unter den Exkursen sind die bedeutsamsten die, welche sich mit der Sprache der alten Germanenstämme beschäftigen. Denn hier zitiert Rhenanus als gewichtigstes Beispiel für das Deutschtum der Franken die Anfangsworte aus Otfrieds Krist:

Nu uuil ich scriban unser heil
Euangeliono deil,
So uuir nu hiar bigunnon
In Frenkisga zungon.

Es sind die ersten altdeutschen Worte, die in einem deutschen Geschichtswerk stehen. „Wer deutsch kann“, fügt Rhenanus bei, „versteht diese Worte gut, abgesehen davon, daß wir heute ein wenig


  1. [261] 135) Gemeint ist der aus der spätern Zeit Heinrichs IV. stammende Landfriede, den G. Waitz, Urkunden z. dtn. Verfassungsgeschichte im 11. u. 12. Jh. S. 15 f. abgedruckt hat.