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Menge der mittelalterlichen Chronisten. Kein Werk, das nicht eine Vorrede hätte, in der der Autor Plan und Umstände der Abfassung genau auseinandersetzt. Auch ein Schriftsteller, der in seinen Werken selbst so ängstlich alles Subjektive vermeidet, wie Trithemius, wird hier lebendig. Andere, wie Meisterlin und Wimpfeling, die mehr Temperament besitzen, verwandeln einen guten Teil der Arbeit selbst in einen Dialog mit dem Leser, mit genannten oder ungenannten Feinden. Bei den Mönchen unter ihnen streitet das Gebot der Bescheidenheit oft ergötzlich oder rührend mit der humanistischen Eigenliebe, wie bei Meisterlin, der unter seiner „Neronberga“ als quidam erscheinen möchte, oder bei Trithemius, der uns diesen Kampf in dem Bruchstücke seiner biographischen Beichte, dem Nepiachus, mitfühlen läßt. Aber gerade Trithemius kann kaum ein Buch herausgehen lassen, ohne ihm ein größeres oder kleineres Verzeichnis seiner eigenen literarischen Arbeiten anzufügen.

Und endlich sind alle diese Autoren humanistisch in ihrem Patriotismus.[1] – Es ist neuerdings darauf hingewiesen worden, wie gerade die internationale Bewegung der Kreuzzüge die Nationen durch die gegenseitige Reibung zum Nationalbewußtsein gebracht habe. Damals lernen die feineren Franzosen auf die indisciplinati mores der Deutschen schelten, die Deutschen auf die levitas Gallorum herabsehen. Ganz ähnlich wirkt der Humanismus. Indem er ein gemeinsames Kulturideal schafft, nötigt er die Völker, sich mit diesem und dann bei dem Wettbewerb um dasselbe auch untereinander zu vergleichen. Aber es ist jetzt anders, wie zur Zeit des Jordanus von Osnabrück, der noch eine Art Teilung der Erde vornehmen durfte, derart, daß den Italienern das Sacerdotium, den Deutschen das Imperium, den Franzosen das Studium gegeben sei. Von den Früchten des neuen Baumes will jeder genießen.

Den Deutschen ist der Stachel besonders tief ins Herz gedrückt. Denn ob Enea Silvio zu Gregor Heimburg sagt, ihm scheine die Beredsamkeit, wie zu Ciceros Zeiten von Griechenland nach Latium, so jetzt von Latium nach Deutschland geflohen zu sein, und in seiner Germania Martin Mayr erklärt, daß man den Deutschen überhaupt kaum noch ein wenig Barbarei anmerke, oder ob er seinem Freunde Campisio seine ehrlichere Herzensmeinung enthüllt und im Pentalogus und sonst den deutschen Fürsten, die nur für Jagd und Trinkgelage Sinn haben, Alfons von Neapel als Muster vorhält und ihnen zu beweisen sucht, daß schon Reiche aus Mangel an Bildung bei den Herrschern zugrunde gegangen seien: das alles wirkt aufs lebendigste

  1. [238] 133) Eine gute Übersicht bietet Buschkiel, Nationalgefühl und Vaterlandsliebe im älteren deutschen Humanismus. Programm Chemnitz 1887.