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Wundergeschichte von ehrwürdigem Alter zu sichern, der Humanismus aus Ruhmsucht oder aus der Empfindung, daß das Altertum, in dem man zu leben gesonnen ist, kein Torso sein dürfe. Meginfried und Hunibald sind aus einer Kreuzung dieser beiden Empfindungen hervorgegangen.

Hunibald ist das bei weitem saftlosere Produkt der Phantasie des Trithemius. Wenn er überhaupt nach einer Vorlage gemacht ist, so kann sie nur in einer Ableitung der Gesta Francorum zu suchen sein, vielleicht in einer der zahlreichen niederländischen Reimchroniken.[1] Ein paar Bemerkungen von Trithemius scheinen darauf hinzudeuten. Die Tendenz ist, die Franken, an deren Könige das Haus Habsburg angeschlossen wird, zwar ihres trojanischen Ursprungs, den ihnen schon Fredegar gegeben hatte, nicht zu berauben[2], aber ihre Ankunft in Deutschland aus der Zeit Kaiser Valentinians im 5. Jahrhundert nach Christus um ebensoviel Zeit vor Christi Geburt heraufzurücken, so daß ein Frankenreich geschaffen wird vor jeder Spur römischen Einflusses auf Deutschland.

Wenn bei der Ausführung dieses Planes etwas auffällt, so ist es die geflissentliche Vernachlässigung der beglaubigten Nachrichten über die germanische Frühzeit, die doch leicht Farben zu dem Bilde hätten geben können. Originell ist an dem Machwerk des Trithemius gar nichts, als etwa in der äußeren Geschichte der Bund zwischen Sachsen, Thüringer und Franken gegen Gallier, Römer – und Goten, in der inneren von allgemeinen Gedanken die Ablehnung jeder Vorstellung eines kulturlosen Urzustandes, von besonderen die Heraushebung der Stellung der Priester, die – in allen Wissenschaften kundig und in Rom und Athen gebildet – nicht nur die einzigen Berater der Könige, die Verkünder der Zukunft, sondern auch die Geschichtschreiber des Volkes sind. Er weiß von solchen, die deutsch geschrieben haben und auch die Taten der Vorfahren in Lieder faßten, die die Jugend lange Zeit auswendig lernte, bis der Brauch abkam.

Aber das alles ist Nebensache gegen eine wichtige Erkenntnis, die Trithemius aus seinem Hunibaldkodex schöpft. Es hat ein Frankenreich gegeben, das alt und stets unabhängig von Rom war, und seine Fortsetzung ist das alle deutschsprechenden Stämme umfassende Königreich Germanien, das bis auf den heutigen Tag besteht, wenn ihm auch seither das Kaisertum „einverleibt und unterworfen worden ist“, und das auch weiterbestehen wird, wenn das Kaisertum etwa einmal zu einer andern Nation kommen sollte.

Das ist die große Entdeckung, die Trithemius seinem Freunde

  1. [231] 41) Die Grundlage der Gesta Francorum steht fest durch die Erwähnung des Wasthald oder Wisogastald, der aus dem Prolog zur lex Salica in die Gesta Francorum, natürlich nicht als Geschichtschreiber, gekommen ist. S. die Zusammenstellung der Angaben des Trithemius bei Mentz, Ist es bewiesen, daß Trithemius ein Fälscher war? Diss. Jena 1892 (im übrigen wertlos).
  2. [231] 42) Bei den Venetianern steht es natürlich anders, s. d. Chronologica mystica bei Freher I s. p. cap. XII: Veneti ab hoc tempore (sc. excidii Troiae) ex Troianis computant initium et gentis suae et urbis. Et notandum, quod et aliae nationes plurimae tam in Europa quam in Asia suam praetendunt originem se sumpsisse a Troianis, quibus tantum accomodare fidei duxi, quantum ipsi veritatis mihi sufficienti testimonio poterunt persuadere.