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III.
Scholastischer Humanismus.

Als Enea Silvio Deutschland verließ, wohl in der Überzeugung, daß er doch aus einem Barbarenlande scheide, hatte der Humanismus schon an verschiedenen Orten Wurzel gefaßt, angepflanzt durch Männer, die sich in Italien selbst mit dem neuen Geiste erfüllt hatten. In den beiden bedeutendsten Reichsstädten Süddeutschlands gab es humanistische „Sodalitäten“, in Nürnberg um den Juristen Gregor Heimburg, in Augsburg um den Arzt Hermann Schedel und den Patrizier Sigismund Gossembrot.[1]

Es sind merkwürdige Leute, die sich da zusammentun. Sie pflegen vor allem die neue Form, schreiben sich Briefe, nicht um sich etwas mitzuteilen, sondern um zu zeigen, daß sie den neuen Stil beherrschen, sie haben gerne ihren literarischen Streit nach dem Muster von Poggio, Filelfo und Valla mit einem wirklichen oder auch mit einem erdichteten Gegner, sie fingieren Liebeshändel und nennen die Geliebte Glycerion, wie Horaz und nach ihm Enea Silvio, ja sie möchten wohl gerne lasziv und ganz als Brüder Tunichtgut erscheinen.

Aber das alles ist Maske, ein großes Fastnachtspiel. Im bürgerlichen Leben sind sie die ehrbarsten Leute, und wenn sie in Konflikte mit ihren Zeitgenossen gekommen sind, so hat der Humanismus daran keinen Anteil. Heimburg hat vielleicht diesen Widerspruch empfunden und sich davon durch eine in ihren Zielen freilich nicht immer klare Polemik zu befreien gesucht, die andern waren zu wenig Persönlichkeiten dazu. Wenn sie in ihrer Lebensführung einen Humanisten nachahmen, so ist es nicht der liederliche Poggio, den sie so viel plündern und kopieren, sondern Petrarka. Von ihm lernen sie die Freuden der literarischen Muße auf dem Lande – Gossembrot hat sein habitatio academica in Obermeuttingen bei Augsburg, Heimburg bei Würzburg –, von ihm die Sehnsucht nach einem Leben, das „ab hominibus, non ab humanitate aliena“ ist. Heimburg preist es als etwa 50jähriger Mann, als ihm der fehdereichste Teil seines Lebens


  1. [229] 1) Für Nürnberg Max Herrmann, Die Rezeption d. Humanismus in Nürnberg. Berlin 1898. – Über Gossembrot und Schedel hat Wattenbach zuerst gehandelt; weiteres in meiner Ausgabe von Hermann Schedels Briefwechsel (BLV Stuttgart CXCVI) und meiner Zusammenstellung von Gossembrots Bibliothek CBlBiblW. XI.