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den Titel lassen, den ihm die nächste Generation in berechtigter Vergleichung mit der Schrift des Tacitus gegeben hat. Und wenn wir in der humanistischen Geschichtschreibung Deutschlands die Verbindung historischer und geographischer Interessen inniger wie in andern Ländern finden werden, so hat auch darauf der päpstliche Kosmograph entscheidenden Einfluß gehabt, der die Geschichte seiner eigenen Zeit in eine „Europa“ verwebte.

Ich greife aus der Menge der historisch-geographischen Schriften Eneas zwei zu näherer Betrachtung heraus. Die Böhmische Geschichte, weil sie, durch Handschriften und Drucke schnell verbreitet, am frühesten, und die „Germania“, weil sie am tiefsten auf die deutsche Geschichtschreibung gewirkt hat. – Der Stoff der Böhmischen Geschichte[1] hat vielleicht länger als irgend ein anderer den Geist Eneas beschäftigt. Schon in Basel, wo die Hussitenfrage eine der wichtigsten Sorgen des Konzils bildet, erregen die Böhmen sein Interesse, vielleicht schon damals schreibt er etwas über ihre älteste Geschichte nieder, gewiß vor allem eine Diskussion der Fabeln der böhmischen Urzeit, wie er ja damals auch an der Trojanersage der Franken Interesse nimmt.[2] Dann verfolgt er die Bemühungen König Sigismunds Böhmen wiederzugewinnen. Seit 1442 in Österreich findet er in der Kanzlei böhmische Freunde, die ihm auch literarisch nahe treten und ihn in Böhmen früher als anderswo als Schriftsteller berühmt machen. Vor allem aber zieht das königliche Kind von Böhmen, Ladislaus, seine Aufmerksamkeit auf sich. Einer seiner ersten Briefe aus Graz gibt ausführliche Nachricht über den Knaben. Daß sie mit einer Schilderung der Lage von Graz eingeleitet ist und in Betrachtung über echte und erdichtete königliche Stammbäume ausläuft, zeigt, wie gut Enea die Kunst seiner Landsleute versteht, dem diplomatischen Bericht auch über ein unbedeutendes Ereignis ein historisches Relief zu geben. Dann wird aus dem Zuschauer ein Akteur. Vom Landtag zu Beneschau, wo der Bischof Enea 1451 König Friedrich III. vertritt, geht ein Bericht an Kardinal Carvajal, der auch eine Schilderung der Burg Tabor, des Taboritenstaates und seiner Sitten enthält.[3] 1455 folgt die große Denkschrift an Papst Calixtus über die Reunion der Hussiten, ebenso sehr ein historisches wie ein diplomatisches Werk.[4] Endlich schreibt der Kardinal Enea 1458, kurz vor seiner Wahl zum Papste, fern von den Geschäften in den Bädern von Viterbo als ein Parergon die Böhmische Geschichte.

Lesen wir den schmalen Band, so wird klar, daß das Werk nicht mit dem Maßstab der Quellenkritik, die für Geschichtsquellen

  1. [227] 47) Erster Druck 1475. Ich zitiere nach der Basler Ausgabe der Opera von 1551.
  2. [227] 48) Voigt, Enea I, 243.
  3. [227] 49) S. den Brief aus Graz in der Ed. Basilea Nr. 13, bei Voigt, Die Briefe des Aeneas Sylvius im AÖG. XVI, Nr. 45. Der ebenda Nr. 138 abgedruckte Brief von 1445 enthält eine Anekdote über Primislaus, die Hist. Bohemica cap. 6 wieder verwertet ist. Der Bericht an Carvajal Ed. Basilea Nr. 130 = Voigt Nr. 190.
  4. [227] 50) Gedruckt bei Mansi, Pii II orationes I, 352 ff.; vgl. Voigt, Enea II, 165.