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Es gab schließlich nur eine Stelle in den Städten, wo sich die Fähigkeit zu einer größeren historischen Darstellung mit dem nötigen Einblick in die Lebensbedingungen des städtischen Gemeinwesens vereinigte, die städtische Kanzlei. Hier vollzieht sich am sichtbarsten die Loslösung der städtischen Bildung von der geistlichen und ritterlichen, aber sie vollzieht sich naturgemäß sehr langsam. So bleibt Meister Gotfrit Hagene in seinem „boich van der stede Colne“ noch ganz in Form und Geist der „ritterlichen Epopöe“ stecken[1], und als anderthalb Jahrhunderte später, um 1459, in der Nürnberger Kanzlei, vielleicht schon aus humanistischer Anregung, historisches Interesse beachtenswerter Art erwacht, da entsteht wieder nur eine Weltchronik mit lokaler Tendenz.[2]

Ich wüßte nur ein Werk aus der vorhumanistischen Zeit zu nennen, das sich die Schaffung einer Stadtgeschichte als eines selbständigen Ganzen vorsetzte: es ist die Chronik des Magdeburger Schöppenschreibers Heinrich von Lammespringe.[3]

Auch sonst ein höchst merkwürdiges Buch. Der Verfasser umgrenzt klar seinen Stoff: die Stadtgeschichte, und wo die Nachrichten hierfür noch nicht ausreichen, die Geschichte des Sachsenlandes. Diese letztere unter einem besonderen Gesichtspunkt: keine Fürstengeschichte, wie die Braunschweiger Reimchronik, – von Widukind wird auffallend wenig gesprochen – dagegen das Bestreben, alle „sächsischen“ Nachrichten aus der Reichsgeschichte zusammenzulesen. Dazu eine innerlich begründete Einteilung des Stoffs in drei Bücher: das erste enthält die Geschichte bis zur Bekehrung der Sachsen durch Karl den Großen, das zweite Reichs- und Stadtgeschichte bis zum Jahre 1350, dem „großen Sterben“, für den Chronisten zugleich der Anfang zeitgenössischer Berichterstattung. Jedes Buch hat auch sein Einleitungskapitel: das erste eins von Julius Cäsar, dem angeblichen Stadtgründer von „Parthenopolis“; das zweite eins von der „köre des rikes“, die für den Verfasser mit der Frage zusammenhängt, wie das Reich an die Sachsen gekommen sei; das dritte eine Aufzählung der Bischöfe, diese nicht, weil der Verfasser ein Geistlicher ist, sondern weil die Bischöfe zugleich seit 1294 Burggrafen von Magdeburg waren.

Prüfen wir dann den Inhalt, so sehen wir wohl, daß ein geistlicher Mann schreibt, dem z. B. Dinge, wie der Untergang des Templerordens besonders nahe gehen. Aber auch ein Stadtkind, das sich dafür interessiert, ob Bürger zum Heerschild gehören, und ob ihnen ritterliche Übungen geziemen. Das spricht auch die Vorrede aus, die in ihrer halb prosaischen, halb poetischen Fassung merkwürdig an den Sachsenspiegel

  1. [222] 35) Lorenz II, 61.
  2. [222] 36) Meine Arbeit über Meisterlin 153 ff.
  3. [222] 37) Ausgabe von Janicke in der St. Chr. VII.