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Stamme, und auch wenn sie, wie Ottokar, ernsthafte historische Absichten, ja sogar so etwas wie leitende Ideen erkennen lassen, der Strom uferloser Erzählung überflutet das alles, sie alle wollen Geschichten, nicht Geschichte erzählen.

Ein Werk dieser Art weist nach einer andern Richtung: die Braunschweigische Reimchronik.[1]

Auch sie stammt nach Form und Geist aus dem Kreise der ritterlichen Dichtung, aber sie bringt keine Abenteuer. Bestimmt bezeichnet der Verfasser sein Thema: das Leben und die Taten der edlen Herzoge von Braunschweig; er läßt vor unsern Augen den Stammbaum aus seinen zwei Wurzeln, dem Geschlecht Widukinds und dem des Billungers Hermann entstehen, mit jenem beginnt er nach kurzem Präludieren seinen Gesang. Kann sich auch selbst dieser Chronist nicht ganz von dem seinem Zwecke fremden Stoffe der Welt- und Kaisergeschichte frei machen,[2] so fühlen wir doch durchweg den leitenden Gedanken, zu erklären, wie ein so ritterlicher und so weiser Herrscher wie Herzog Albrecht der Große, des Dichters Gönner, zu seiner Macht und seinem Adel gekommen ist. Adel aber ist Tugend, sonst „wären wir wohl von Adam her alle gleich“. Tugend aber will von Geschlecht zu Geschlecht gepflegt sein, und deshalb müssen die Fürsten bei ihren Taten gedenken, daß sie den Nachkommen ein Beispiel geben, die Nachkommen aber der Vorfahren Beispiel beherzigen. Solch ein Beispiel hat König Heinrich gegeben, als er den Ungarn einen verstümmelten Hund als Zins reichen ließ, „das möge merken, wer von seiner Sippe ist“, ruft der Dichter aus, und als Heinrich der Löwe in Thüringen seine Mannen zum letzten Kampfe spornt, da erinnert er sie an Markgraf Eckbert von Meißen und Kaiser Lothar als die Helden, denen sie Ehre machen müßten. So ist auch schon Widukind zwar ein Heide, aber sonst ein hoher Fürst mit aller Tugend.

Was hier vorliegt, ist ein Fürstenspiegel[3] und auch diese Gattung hat ihre Entwicklung gehabt. Zu ihr gehört etwa aus dem 14. Jahrhundert Levold von Northofs Chronik der Grafen von der Mark[4], aus dem 15. Ludwig von Eybs Denkwürdigkeiten der hohenzollerschen Markgrafen.[5] Beide sind bemerkenswerte Zeugnisse der Wandlung, die in der Stellung des hohen Adels seit dem Interregnum vor sich gegangen ist. Beide Verfasser, der Lütticher Kanonikus wie der fränkische Hofmeister, sind treue Helfer des neuen Landesfürstentums, dem sie die Kunst Erworbenes zu erhalten und zu vermehren an Beispielen aus der Hausgeschichte erläutern wollen. Im Zweck ihrer Schriften, wie in den Mitteln, die sie empfehlen, merkwürdig

  1. [221] 29) Ausgabe von Weiland in M. G. Dte. Chr. II, 430 ff.
  2. [221] 30) Weiland vor der Ausgabe 434; dazu Stellen wie V. 8641 ff.
  3. [221] 31) Ob das nicht auch einmal der wirkliche Titel war? S. V. 2601 ff.:

    waz vursten sin von in geboren,
    dhe ich nicht al kan genennen;
    doch sult ir se irkennen
    in eynen andern spigele glanz.

  4. [222] 32) Ausgabe (lateinisch mit deutscher Übersetzung) von C. L. P. Troß. Hamm 1859. Dazu Lorenz II, 68 ff., und Wattenbach in ADB. XXIV, 23 f. Neue Literatur und Ergänzungen bei W. Levison, Aus engl. Bibliotheken im NA. XXXII, 385ff.
  5. [222] 33) Ungenügende Ausgabe von Höfler in der Quellensammlung für fränkische Geschichte I. Dazu M. Herrmann, Albrecht von Eyb 21 ff., der aber die historiographische Bedeutung wohl überschätzt.