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Geburt tritt bei ihm die römische Geschichte und an deren Anfang eine Stadtbeschreibung nach den damals noch nicht lange bekannten Mirabilia urbis Romae. Weil er von Rom aus die Welt betrachtet, zeigt Martin noch über die Mirabilia hinaus ein Interesse an den Resten des Altertums in Rom, wie an der Wölfin auf dem Kapitol, der Reiterstatue des Marc Aurel, den Dioskuren vom Monte Cavallo.[1] Deshalb übergeht er leichten Herzens die konstantinische und streift nur die karolingische Schenkung, um desto genauer von den Gaben dieser Herrscher an die einzelnen römischen Kirchen zu berichten.[2] So mag ihm auch der Anteil der Römer an der Kaiserkrönung des Jahres 800 wichtiger gewesen sein als der des Papstes. Sicherlich ist auch der Grund, daß er die Geschichte der Päpstin Johanna erzählt, kein anderer, als daß er sie als Lokalsage an einen vicus papissae knüpfen kann oder geknüpft findet.[3]

Scholastisch ist Martin, weil das oberste Gesetz seiner Darstellung die Lückenlosigkeit und chronologische Bestimmtheit aller Angaben ist.

Längst vor ihm hatte man die apostolische Sukzession der Päpste an Christus direkt angeknüpft, vielleicht zuerst bei dem phantastischen Fabulator Gotfried von Viterbo hieß Christus der erste Papst. Hier war das sicher recht harmlos, aber bei Martin gewinnt es Bedeutung, denn es dient ihm, um die Vergleiche von Kaiser und Papst mit Mond und Sonne und die Zweischwertertheorie sogleich an die Anfänge des Papst-Kaiserreichs anzuschließen, wie ja hier auch schon das Kardinalkollegium seine Stelle findet, dessen drei Ordnungen sich leicht den drei Engelschören vergleichen.[4] Von den gelehrten Zweifeln, die Ekkehard bei der Chronologie der nächsten Nachfolger Petri seinen Lesern vorgelegt hatte, ist bei Martin nichts zu finden. Wer erst Vertrauen zu einem System schaffen will, wird keinen Einblick in Streitfragen eröffnen, die es erschüttern könnten.

Auch wo Martin scheinbar nur seinen Quellen folgt, ist oft eine Anfügung oder Zusammenstellung bedeutsam. Er schreibt aus Orosius ab: Augustus ließ sich nicht Gott nennen, und fährt fort: zu gleicher Zeit wurde Christus geboren. Oder er sucht den Übergang von der Reihe der griechischen Kaiser zu den Franken: Ekkehard hat zum Jahre 689 unter dem Kaisertum Justinians II: Pippinus, filius Ansgisi, maior domus efficitur in Gallia, regnumque Francorum amministravit annis 27, cuius etiam anni suorumque successorum deinceps annotantur in catalogo regum; Martin wenig später: Item Constaninus V cum filio suo Leone et cum Pipino rege Francorum et patricio Romanorum eiusque filiis Karolo et Karolomanno imperavit annis 16.[5]

  1. [220] 8) l. c. 400, 48; 401, 46.
  2. [220] 9) l. c. 426; 461 u. a..
  3. [220] 10) Damit wird natürlich Bernheims Nachweis, daß die Sage ursprünglich byzantinischen Ursprungs ist (DZG. III, 412; IV, 342), nicht berührt. S. auch Strauch in M. G. Dte. Chr. III, 1, LXXIV.
  4. [220] 11) M. G. SS. XXII, 406.
  5. [220] 12) Charakteristisch ist auch, wie Martin in der aus Benedikt von S. Andrea abgeschriebenen Stelle, die Weiland in seiner Quellenuntersuchung (Archiv d. Gesellschaft f. ält. dt. Geschichtskunde XII, 35) aushebt, durch Änderung eines «postea» in et «ab illo tempore» die zeitliche Aufeinanderfolge in einen ursächlichen Zusammenhang verwandelt. – Für die Chronik Frutolf-Ekkehards glaube ich auch nach Harry Breßlaus Feststellungen die alte Bezeichnung brauchen zu dürfen.