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die Straßenecke und ging dort zuerst an dem horchenden kleinen ältlichen Weib vorbei. Ich sah sie gar nicht an. Dann wendete ich wieder einige Schritte um und ging langsam denselben Weg zurück. Dabei betrachtete ich die Aufpasserin genau, denn sie sah mir unter der Laterne, wo sie stand, ins Gesicht.

Ihr dumpfrotes dickes Kopftuch war ein wenig vom Schädel zurückgerutscht, und sie sah mit dem grauen platten Haar elend und armselig aus. Aber ihre kleine Stirn hatte etwas hartnäckig Ausdauerndes wie ein Stein, den man vergeblich auf Steine stößt und der nicht zerspringt. Mager und blutleer, ausgekältet von ewigen Nachtfrösten, stand sie dort. Aber nicht zusammengekauert vom Elend, sondern verzweifelt, halsstarrig wie ein Nagel, der spitz aus einer Kiste heraussteht, und an dem sich alle Vorübergehenden die Kleider zerreißen. Der Nagel aber weicht nicht, er sticht und reißt jeden in die Haut, der unvorsichtig in seine Nähe kommt. So stand diese Gestalt seit Monaten von Mitternacht bis zum Morgengrauen und wich nicht und änderte ihren Standplatz nie.

Sie hatte keinen wirklichen Blick in ihren

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Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/187&oldid=- (Version vom 31.7.2018)