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Charaktere, deren Unterschiede nicht grösser sind, als wir sie heutzutage zwischen Varietäten einer Art sehen; diese jetzt gewöhnlich erloschenen Stamm-Arten waren ihrerseits wieder in ähnlicher Weise mit älteren Arten verkettet; und so immer weiter rückwärts, bis endlich alle in einem gemeinsamen Vorgänger einer ganzen Ordnung oder Klasse zusammentreffen. So muss daher die Anzahl der Zwischen- und Übergangs-Glieder zwischen allen lebenden und erloschenen Arten ganz unbegreiflich gross gewesen seyn. Aber, wenn diese Theorie richtig ist, haben sie gewiss auf dieser Erde gelebt.

     Über die Zeitdauer.) Unabhängig von der aus dem Mangel jener endlosen Anzahl von Zwischengliedern hergenommenen Einrede, könnte man mir ferner entgegenhalten, dass die Zeit nicht hingereicht habe, ein so ungeheures Maass organischer Veränderungen durchzuführen, weil alle Abänderungen nur sehr langsam durch Natürliche Züchtung bewirkt worden seyen. Es würde mir kaum möglich seyn, demjenigen Leser, welcher kein praktischer Geologe ist, alle Thatsachen vorzuführen, welche uns einigermaassen die unermessliche Länge der verflossenen Zeiträume zu erfassen in den Stand setzen. Wer Sir Charles Lyell’s grosses Werk „the Principles of Geology“, welchem spätre Historiker die Anerkennung eine grosse Umwälzung in den Natur-Wissenschaften bewirkt zu haben nicht versagen werden, lesen kann und nicht sofort die unbegreifliche Länge der verflossenen Erd-Perioden zugesteht, der mag dieses Buch nur schliessen. Nicht als ob es genüge die Principles of Geology zu studiren oder die Special-Abhandlungen verschiedner Beobachter über einzelne Formationen zu lesen, deren jeder bestrebt ist einen ungenügenden Begriff von der Entstehungs-Dauer einer jeden Formation oder sogar jeder einzelnen Schicht zu geben. Jeder muss vielmehr erst Jahre lang für sich selbst diese ungeheuren Stösse übereinander gelagerter Schichten untersuchen und die See bei der Arbeit, wie sie alle Gesteins-Schichten unterwühlt und zertrümmert und neue Ablagerungen daraus bildet, beobachtet haben, ehe er hoffen kann, nur einigermaassen die Länge der Zeit zu begreifen, deren Denkmäler wir um uns her erblicken.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_291.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)