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geringste Abweichung in Bau und organischer Thätigkeit das bisherige genaue Gleichgewicht zwischen den ringenden Formen aufheben und hiedurch ihre Erhaltung bewirken. Wie flüchtig sind die Wünsche und die Anstrengungen des Menschen! wie kurz ist seine Zeit! wie dürftig sind mithin seine Erzeugnisse denjenigen gegenüber, welche die Natur im Verlaufe ganzer geologischer Perioden anhäuft! Dürfen wir uns daher wundern, wenn die Natur-Produkte einen weit »ächteren« Charakter als die des Menschen haben, wenn sie den verwickeltesten Lebens-Bedingungen weit besser angepasst sind und das Gepräge einer weit höheren Meisterschaft an sich tragen?

     Man kann sagen, die Natürliche Züchtung seye täglich und stündlich durch die ganze Welt beschäftigt, eine jede auch die geringste Abänderung ausfindig zu machen, sie zurückzuwerfen wenn sie schlecht, und sie zu erhalten und zu verbessern wenn sie gut ist. Stille und unmerkbar ist sie überall und allezeit, wo sich die Gelegenheit darbietet, mit der Vervollkommnung eines jeden organischen Wesens in Bezug auf dessen organische und unorganische Lebens-Bedingungen beschäftigt. Wir sehen nichts von diesen langsam fortschreitenden Veränderungen, bis die Hand der Zeit auf eine abgelaufene[WS 1] Welt-Periode hindeutet, und dann ist unsre Einsicht in die längst verflossenen Zeiten so unvollkommen, dass wir nur noch das Eine wahrnehmen, dass die Lebensformen jetzt ganz andre sind, als sie früher gewesen.

     Obwohl die Natürliche Züchtung nur durch und für das Gute eines jeden Wesens wirken kann, so werden doch wohl auch Eigenschaften und Bildungen dadurch berührt, denen wir nur eine untergeordnete Wichtigkeit beilegen möchten. Wenn Blätter-fressende Insekten grün, Rinden-fressende grau-gefleckt, das Alpen-Schneehuhn im Winter weiss, die Schottische Art Haiden-farbig, der Birkhahn mit der Farbe der Moorerde erscheinen, so haben wir zu vermuthen Grund, dass solche Farben den genannten Vögeln und Insekten nützlich sind und sie vor Gefahren schützen. Wald- und Schnee-Hühner würden sich, wenn sie nicht in irgend einer Zeit ihres Lebens der Zerstörung ausgesetzt wären, in endloser Anzahl vermehren. Man weiss, dass


  1. Im Original ahgelaufene
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_089.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)