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in die Mittel zu gewinnen, durch welche solche Umänderungen und Anpassungen bewirkt werden. Beim Beginne meiner Beobachtungen schien es mir wahrscheinlich, dass ein sorgfältiges Studium der Hausthiere und Kultur-Pflanzen die beste Aussicht auf Lösung dieser schwierigen Aufgabe gewähren würde. Und ich habe mich nicht getäuscht, sondern habe in diesem wie in allen andern verwickelten Fällen immer gefunden, dass unsre Erfahrungen über die im gezähmten und angebauten Zustande erfolgenden Veränderungen der Lebenwesen immer den besten und sichersten Aufschluss gewähren. Ich stehe nicht an meine Überzeugung von dem hohen Werthe solcher von den Naturforschern gewöhnlich sehr vernachlässigten Studien auszudrücken.

Aus diesem Grunde widme ich denn auch das erste Kapitel dieses Auszugs der Abänderung im Kultur-Zustande. Wir werden daraus ersehen, dass erbliche Abänderungen in grosser Ausdehnung wenigstens möglich sind, und, was nicht minder wichtig, dass das Vermögen des Menschen, geringe Abänderungen durch deren ausschliessliche Auswahl zur Nachzucht, d. h. durch künstliche Züchtung[1] zu häufen, sehr beträchtlich ist. Ich werde dann zur Veränderlichkeit der Lebenwesen im Natur-Zustande übergehen; doch bin ich unglücklicher Weise genöthigt diesen Gegenstand viel zu kurz abzuthun, da er angemessen eigentlich nur durch Mittheilung langer Listen von Thatsachen behandelt werden kann. Wir werden demungeachtet im Stande seyn zu erörtern, was für Umstände die Abänderung am meisten befördern. Im nächsten Abschnitte soll der Kampf um's Daseyn unter den organischen Wesen der ganzen Welt abgehandelt werden, welcher unvermeidlich aus ihrem hoch geometrischen Zunahme-Vermögen hervorgeht. Es ist Diess die Lehre


  1. Durch „Züchtung“ werde ich den stets wiederkehrenden Englischen Ausdruck „Selection“ übertragen, welcher in gegenwärtigem Sinne auch in England nicht gebräuchlich und desshalb dort angegriffen worden ist. Richtiger wäre wohl „Auswahl zur Züchtung“ gewesen, zumal bei der „Züchtung“ auch noch Anderes als die Auswahl der Zucht-Thiere allein in Betracht kommen kann, doch ist Diess von wohl nur untergeordnetem Interesse. Zuweilen entspricht jedoch eine Übersetzung etwa durch das neu zu bildende Wort „Zuchtwahl“ wirklich besser, insbesondre bei Übertragung des Ausdrucks „Sexual selection“.     D. Übrs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_010.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)