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dass sie unbedeutend sind, und man wird sich ihrer Wirksamkeit freuen. Der kleinste Streber, der in dem Kampfe um das Kaffeehaus-Dasein sich durchsetzen will und nach einer festen Position an dem Tische der fertigen Literaten ringt, darf nicht übersehen werden. Die Entwicklung werdender Talentlosigkeiten gibt eine Fülle von Beobachtungen an die Hand, und pikant ist es, durch ein Kaffeehausfenster zuzusehen, wie sich heute der Neuling durch den gestern gemachten Mann lancirt.

Da fällt zunächst ein Schriftsteller auf, der sich aus schüchternen Anfängen zum Freunde des Burgtheater-Autors emporgerungen, ein Parvenu der Gesten, der seinen literarischen Tischgenossen Alles abgeguckt hat und ihnen die Kenntnis der wichtigsten Posen verdankt. Haben es die Anderen in der Unnatürlichkeit bereits zu einiger Routine gebracht, ihm sieht man stets noch die Mühe an, die ihn seine Nervosität kostet. Immerhin hat er sich heute doch schon glücklich drei Nerven zusammengescharrt, die ihm die Ausübung einer bescheidenen Sensitivität erlauben. So legt er besonderen Werth darauf, es nicht vertragen zu können, wenn man mit einem Messer auf dem Teller kratzt. Aus solchen Vorfällen, die in Anderen das normale Unbehagen erzeugen, empfängt Er die Anregung zu dichterischem Schaffen. Hier liegen Art und Stärke seines Talentes. Nach den Stoffen hatte er nie weit zu gehen. Er schrieb immer das, woran seine Freunde gerade arbeiteten, und da die Jung-Wiener Schule einstimmig das Thema vom Sterben gewählt hat und mit vereinten Kräften dem Tode ein paar Novellen abzuringen bemüht ist, sehen wir ihn mit der Anempfindung einiger Sentimentalitäten über Begräbnisse, Friedhofskränze und Hinterbliebene eifrig beschäftigt. Seine Production muss man sich so vorstellen, daß er, eine Art Nuancenzuträger, sämmtliche Einfälle seines accreditirteren Freundes in Aufbewahrung hat und dafür jeden zehnten benützen darf. Wiewohl er in einem Ausverkaufe von Individualitäten billig zu einer solchen gekommen sein soll, hat sich ihm das reine Künstlerthum auf die Dauer doch nicht rentirt. Er, dem es in seinem Kreise stets eingeschärft worden war, auf die Tagesschriftsteller mit Verachtung herabzusehen, lief bald in den Hafen der Journalistik ein, aber mit dem festen Vorsatz, sich als ehemaliger Literat über das Niveau seiner nunmehrigen Collegen zu erheben. Glücklicherweise war ihm noch von früher her der Tonfall modernen Styls im Ohre geblieben, seine Freunde hatten ihm einige unterstandslose

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_34.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)