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dieser Leere aufgeht, der Dichter, der das Vorstadtmädel burgtheaterfähig machte, hat sich in überlauter Umgebung eine ruhige Bescheidenheit des Grössenwahns zu bewahren gewusst. Zu gutmüthig, um einem Problem nahetreten zu können, hat er sich ein- für allemal eine kleine Welt von Lebemännern und Grisetten zurechtgezimmert, um nur zuweilen aus diesen Niederungen zu falscher Tragik emporzusteigen. Wenn dann so etwas wie Tod vorkommt, – bitte nicht zu erschrecken, die Pistolen sind mit Temperamentlosigkeit geladen: Sterben ist nichts, aber leben und nicht sehen!...

Nicht um Leben aufzunehmen, treten diese Nachempfinder dann und wann aus dem Schneckengehäuse ihres angeblichen Ich heraus; nur um dessen kokette Windungen andächtig zu betrachten. Ein an französischen Vorbildern geübter Formensinn lässt sie an der decorativen Ausgestaltung ihrer nächsten Umgebung, ja der eigenen Person ein naives Vergnügen finden. Da ist ein Schriftsteller, der so grosse Erfolge auf dem Gebiete der Mode aufzuweisen hat, dass er sich getrost in eine Concurrenz mit der schönsten Leserin einlassen kann. Diesem Autor, der seit Jahren an der dritten Zeile einer Novelle arbeitet, weil er jedes Wort in mehreren Toiletten überlegt, liefert ein persischer Tuchfabrikant die besten Stoffe. Mit eisernem Fleisse schafft er an seiner Kleidung und feilt sie bis in das feinste und subtilste Detail; seine Hemden verblüffen, und da er sehr productiv ist, lässt er exotische Muster in rascher Abwechslung aufeinander folgen. Stets auf Schönheit und möglichste Exactheit einer jeden Pose bedacht, versteht er Alles um sich herum zu geschmackvoller Wirkung zu vereinigen, indem er beispielsweise nur mit solchen jungen Leuten verkehrt, deren Anzug zu dem jeweiligen seinen passt – und er geht dann in der so hergestellten Harmonie der Freundschaft seelisch ganz auf. Ein gut gelegter Faltenwurf ist ihm Erlebnis, und wenn er spricht, wendet er peinliche Sorgfalt daran, seine Oberlippe decorativ zu verwerthen. So drapirt er sich selbst sein Milieu und tapeziert sich gemächlich sein Leben aus.

In seinem Kreise hat er einen sehr heiklen Dienst zu versehen. Seine Aufgabe ist es, den Toilettezustand jedes ankommenden Literaten zu visitiren und allfällige Correcturen vorzunehmen. Das gelingt unserem Dichter oft mit ein paar charakteristischen Strichen. Hier ist er gerade damit beschäftigt, selbst die letzte Hand anzulegen, dort ertheilt er zweckmässige Weisungen, gibt

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_32.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)