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kurzer Schulung der deutschen Sprache anthat, war eine unvergleichliche. Wenn es fremdländische Eigennamen in deutscher Satzverrenkung darzubieten galt, beschämte er den Meister. Einige seiner Perioden werden ihm unvergessen bleiben. Die Sensation einer Ehescheidungsaffaire und des flammenden Protestes, den die Heldin gegen ihre Verfolger publicirt hatte, erreichte erst den Höhepunkt, als unser Schriftsteller zur Feder griff und die erlösenden Worte niederschrieb: „Das Processgebäude, über welches sie sich ergeht, hing lange Jahre wie das Schwert des Damokles über dem Haupte der Verfolgten.“ Ein kleiner Artikel zu Hanslick’s siebzigstem Geburtstage – und die gesammte Auflage seines Blattes war vergriffen. Hanslick, schrieb er damals, sei, „in Prag geboren, früh auf den Spuren seiner Zukunft“ gewesen. Den Feuilletonisten rühmte er also:

Des flüchtigen Blattes Theilung, wo der Geist sich von der sorgenvollen Schwere des Leitartikels, von den ernsten Dingen der Politik erholen, in schönen Gefilden wandeln und sich belehrend erfreuen soll können, bietet, wenn er die Feder führt, in reichlicher Münze das, wozu unter dem Striche der ersten Zeitungsseite das Feuilleton erschaffen ist. Und wenn man sagen sollte, wie es denn sei, dass es gerade von ihm das richtige wäre, wo all die tausend Schreiber mit dem lustigen Worte zur langweiligen tödlichen breitgequatschten Sache Frevel und Missbrauch treiben, so hielte es schwer im Vergleiche.

Aus einer impressionistischen Beschreibung des Leichenbegängnisses eines hohen Herrn:

Gell und grauenhaft steigen Hilferufe auf; ich sehe Körper auf der Strasse liegen und Menschenfüsse sie fast zertreten. Ich sehe Kinder mit entsetzensvollem Ausdruck. Warum man doch immer gerade Kinder mitnimmt ins Gedränge? Warum man der Säuglinge kleine zitternde Körper nicht schont und in die ersichtliche Gefahr des Erdrücktwerdens bringt?..

In den Zweigen der Bäume hängen Buben und Männer. Vergebens sucht man sie zu vertreiben. Immer wieder klettern sie hinauf. Selbst am Gitter des Volksgartens stellen sich Neugierige auf. Sie können zwar nichts sehen; sie bleiben jedoch dort. Sie wollen es so....

Hofrath Kozarek erscheint...

Es fliegen die Hüte von den Häuptern vor dem Leichenwagen mit den blendenden Schimmeln in ihren goldstarrenden Schabraken....

Die hellen Klingen gleiten um Haaresbreite an den Gesichtern der Zuschauer hinter ihnen vorüber....

Besondere Zustimmung aber fand er, als er einmal Gelegenheit nahm, sich über die „schwerflüssigen Sprachwerkzeuge des Herrn Kutschera“ auszulassen.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_19.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)