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nicht starr festgehalten ist. Aber man braucht sich sogar nur an die auch von Halm anerkannte Bedeutung „zuertheilen“ zu halten. Uebersetzt man wörtlich: „Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter ertheilen auch ganz jungen Leuten die Auszeichnung seitens des Gefolgsherrn zu“, so ist dies zwar kein gutes Deutsch, aber was Tacitus damit gemeint hat, ist klar, und daher kann nicht behauptet werden, dass das Verbum assignare „unpassend“ ist. Sagt man nun statt „zuweisen, zuertheilen“ in diesem Fall „verleihen, gewähren“, so ist dies wohl kaum als nennenswerthe Abweichung von der Grundbedeutung zu betrachten: es ist die vollendete Thatsache des Zuweisens, Anweisens.

Ganz ähnlich liegt der Fall, wenn Tacitus Hist. I, 30 sagt: Minus triginta transfugae et desertores – – – imperium assignabunt? Auch hier hat assignare seine Grundbedeutung „zuweisen, zuertheilen“ aufgegeben und hat mehr den Sinn von „verleihen, verschaffen“. Der Satz heisst also Deutsch: „Sollen weniger als 30 Ueberläufer und Ausreisser die Herrschaft verleihen“ oder, so könnte man auch übersetzen: „eine Anwartschaft auf die Herrschaft geben“?

Ein schlagendes Beispiel ist ferner Tac. Hist. I, 52, wo es heisst: – – – in quibus sordem et avaritiam Fonteji Capitonis adimendis assignandisque militiae ordinibus integre mutaverat (Aulus Vitellius).

Die Uebersetzung hiervon (nach C. L. Roth) lautet: „– – – und hierin hatte er in redlicher Weise ein Gegenstück gegen die schmutzige Habsucht aufgestellt, womit Fontejus Capito Officiersstellen abnahm und zutheilte“. Assignare ist also in dieser Stelle geradezu der Gegensatz von adimere wegnehmen und hat hier entschieden die Bedeutung von „geben, zutheilen, gewähren“[1].

Assignare kann man demnach keineswegs gegen die hier vertheidigte Ansicht anführen, am allerwenigsten dürfte Halm berechtigt sein, sich in dieser Hinsicht so zu ereifern, indem er ja selbst sich veranlasst fühlt, assignare mit „verleihen“ zu übersetzen: „Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter verleihen eines Fürsten Würde und Geltung – – –“

  1. C. L. Roth, Des Tacitus Werke. Deutsche Uebersetzung. Bd. 7 (Stuttgart 1854) S. 42.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_327.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)