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Es würde nicht viel beweisen, dass Humboldt anders über sich dachte. Bei seiner Berufung in’s Ministerium 1809 erklärt[1] er ausdrücklich, dass seine Neigung entschieden auf die Fortsetzung seiner diplomatischen Geschäfte gerichtet sei. „Es ist das die Laufbahn,“ schrieb er an den König, „zu der ich mich seit langer Zeit vorbereitet hatte, in der ich nunmehr seit sieben Jahren thätig bin, und in welcher ich hoffen darf, mich mehr als in irgend einer anderen der nachsichtsvollen Beurtheilung Ew. Königl. Majestät würdig zu erweisen“, und lehnt durchaus die Berufung ab, – es würde das wenig beweisen, da er sich durch seine Neigung vielleicht über seine Begabung getäuscht hat. „Leidenschaftliche Freude“ kannte er allerdings nicht[2], da alles Leidenschaftliche seiner Natur versagt war, aber dass seine diplomatischen Leistungen und Berichte unzulänglich sind, ist kein gerechtes Urtheil. Wenn man die früher gekennzeichneten erschwerenden Umstände im Auge behält, unter denen Humboldt dort wirkte; wenn man weiter den Gang der Ereignisse verfolgt, die, wie wir sehen werden, in der Hauptsache Humboldt’s Anschauungen Recht gaben, was schliesslich auch Hardenberg anerkannte, und wenn man sie schliesslich mit den Briefen des Hannoveraners Hardenberg, mit Metternich’s Denkschriften und anderem seitdem publicirten Material vergleicht, so kommt man im Gegentheil zu der Ansicht, dass Humboldt viel schärfer gesehen hat als vor Allem der Hannoveraner Hardenberg, der sich trotz seiner anfänglichen Zögerung doch von Metternich ganz einfangen liess.

In Humboldt’s Wiener Thätigkeit müssen wir zwei Perioden unterscheiden, die auch äusserlich durch einen Urlaub getheilt werden: vom September 1810 bis Juni 1812, und vom August desselben Jahres bis Juni 1813. Den Einschnitt bildet der Ausbruch des Russischen Feldzugs. Die Berichte Humboldt’s berühren zahlreiche Ereignisse der inneren und äusseren Politik Oesterreichs und anderer Staaten, Vorgänge am Hof und in den höchsten Beamtenkreisen, aber die Hauptsache bleibt doch immer die Stellung des Kaiserstaates zu Russland und

  1. An den König den 17. Januar 1809. Vgl. Hist. Zeitschr. N. F. 38.
  2. Vgl. Humboldt an Welcker 26. October 1825: „Ich habe, so lange ich in Geschäften war, mehr auf das Thun als die Thaten gehalten.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_083.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)