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Sein Verstand ist nicht helle genug, um ihn bey den Religionsreformen, die er macht, die nöthige Vorsicht und Entschlossenheit einzuflössen. – Er scheint sie nicht vorzunehmen, weil er sie für nüzlich oder nöthig hält; sondern bloss weil das Interesse ihn treibt; wo dies nicht wirkt, da geht er auch nicht weiter. Ein geringer Anfall von Krankheit, oder widerwärtige Begegnisse machen den Bigottismus, der in seiner Seele tief eingewurzelt ist, wieder gang rege. Und diess muss nothwendig über kurz oder lang der Geistlichkeit, wenn sie den rechten Zeitpunkt in Acht zu nehmen weiss, wieder gewonnen Spiel geben. Wenigstens alle 3 Wochen Einmal beichtet der Kaiser. Alle betet er kniend; wenn er nicht bemerkt zu seyn glaubt, so besprengt er Nachts sein Bett mit Weyhwasser. – Diess beweist, dass er wirklich bigott ist; und nicht aus blosser Convenienz den öffentlichen Religionszerimonien beywohnt. – Sein Hofprediger, den er sich selbst gewählt hat, ist ein äusserst beschränkter Dominicaner Mönch. – Wenn einst Migazzi stirbt, so wird wahrscheinlich der Bischof Kerez von St. Pölten, wie man fürchtet, Erzbischoff von Wien werden, welcher an blindem Religionseifer und Bigottismus den Migazzi vielleicht noch übertrift.

Der Kaiser fängt mit seiner gewohnten Hize eine Menge Sachen an; vergisst sie aber auch eben so bald; kömmt er aufs neue etwa wieder an diesen Punkt, und findet seine Befehle unausgeführt, oder nicht nach seiner Idee, so giebts Feuer und Flammen, Cassation und Arrest. Allein dann kommen andre Geschäfte wieder dazwischen, er vergisst jenes, und die Sache bleibt im alten. – Nicht selten werden die bessten Pläne verworffen, weil er sie nicht zu beurtheilen versteht.

Soll man das unter die guten oder die schlechten Züge seines Charakters zählen, dass er seiner sterbenden Mutter mit Mund und Hand versprach ihr Testament zu respektiren, und ihren Leuten die gesezten Pensionen zu lassen; und sobald sie die Augen schloss, das Testament übern Haufen warff, und die Pensionen, deren freylich eine artige Summe war, einstrich? – Er liess sich von den Präsidenten aller seiner Dicasterien Verzeichnisse der entbehrlichen Mitglieder eingeben. – Esterhazy – der Chef der Ungarschen Kanzley antwortete, dass in seinem Departement kein überflüssiges Personnage wäre, als allenfalls er selbst und sein Sohn.

Gegen Leute, die von ihm unabhängig sind, ist er äusserst höflich und herablassend; so dass seine Gegenwart das schlimme, was man von ihm weiss, wirklich für den Augenblik vergessen macht. Nicht selten stösst man auf Handlungen, die entweder Folge seiner unüberlegten Hize sind, oder zum Beweis dienen, dass er unter dem Schein von Milde und Gutmüthigkeit grausam seye:

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_167.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)