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auf ein Offensivbündniss mit Karl wider Frankreich hingearbeitet, bei welchem dem Kaiser in Italien (abgesehen von der endlichen Belehnung mit Neapel) kein direkter Vortheil zufallen sollte, während an Stelle der Franzosen in Mailand und Genua unter kaiserlicher Lehenshoheit die Sforza und Adorni treten und der Kirchenstaat (dem die Französische Episode Siena, Perugia, Fermo eingetragen) noch mit Ferrara, Parma und Piacenza abgerundet werden sollte.

Der junge Kaiser hat sich lange gegen eine solche Politik gesträubt, so sehr ihm ein blosser Defensivbund mit dem Papst genehm gewesen wäre. Seine finanzielle und politische Lage gestattete ihm lange nicht den sofortigen Losbruch, auf den Leo drang; auch durfte er nicht als Angreifer erscheinen, wenn er nicht, nach dem Stand der Verhandlungen, England, um das die Rivalen wetteifernd sich bemühten, auf die andere Seite treiben wollte. Nitti hat das klar bewiesen und auch zahlreiche Lichter auf die diplomatische Meisterschaft fallen lassen, mit der die Curie, scheinbar unschlüssig und nur auf Täuschung bedacht, ihr Doppelspiel in jenen Monaten getrieben hat. Einen interessanten Ruhepunkt bieten die Vorverträge vom December 1520 und Januar 1521, durch welche Leo und Karl sich zusicherten, geheime Verabredungen mit Frankreich weder zu haben noch in den nächsten drei Monaten schliessen zu wollen[1].

Nur ein Zweifaches hätte, nach Nitti, des Papstes Entschluss zu einem Angriffskrieg gegen Frankreich umbiegen können: eine absolute Weigerung des Kaisers oder die Begünstigung der lutherischen Ketzerei durch ihn. Trotzdem seien es lediglich die bekannten politischen Interessen, die bis Ende Januar 1521 das ausschlaggebende Motiv zu seiner Verbindung mit Karl V. abgegeben hätten: sorgfältig hätte er jede Beimischung innerkirchlicher Tendenzen in die Verhandlungen vermieden, um keines der Vortheile, die er in politischem Sinn daraus erhoffte, verlustig zu gehen.

Die Verbindung zwischen diesen anscheinenden Widersprüchen findet, wenn ich recht verstehe, Nitti in der Vorstellung

    nie mit Sicherheit gelöst werden. Es wäre daher müssig zu prüfen, wie sich ihm dann der Gedanke der „Freiheit Italiens“ gestaltet haben würde.

  1. Nitti 350 und 360.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_110.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)