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hat ansehen wollen. Im Gegentheil ist es Leo gewesen, der den von ihm selbst erregten Erwartungen aalglatt sich zu entziehen verstanden hat.

Nur sein Verhältniss zu Franz I. kann verständlich machen, warum er sich damals zu solchen Winkelzügen gedrängt glaubte. Dieser traute dem Papst nicht recht, seit er, mit Frankreich frisch verbündet, im Jahre 1516 der Erwartung, dass er zur Vertheidigung Mailands Unterstützung senden würde, nicht entsprochen hatte. Bester Beweis ist, dass Leo nur sehr unbestimmte Kenntniss hatte von der diplomatischen Arbeit des Französischen Königs zu Wahlzwecken: er hat bis nach dem Tod Maximilian’s nichts davon erfahren, dass Franz für den Fall der Vacanz verbriefte Zusagen von vier Kurfürsten in der Tasche hatte[1]. Ich möchte mir das so erklären, dass es Franz damals im Herbst 1518 nicht sowohl darauf ankommen konnte, seine eigene Wahl zu erreichen, als vielmehr darauf, den Nachfolgeplan Maximilian’s zu verschleppen und dadurch zu vereiteln, in der Berechnung nach dem Tod des kränkelnden Kaisers seiner Sache sicher sein zu dürfen. Darum genügte es ihm, im Papst die Unentschlossenheit hinsichtlich der Hebung der bezeichneten Wahlhindernisse für Karl zu verstärken, ohne ein thätiges Eintreten Leo’s für sich herauszufordern. Seine nicht verstandene Gleichgültigkeit und Zurückhaltung hat dem päpstlichen Politiker damals schwere Zeiten verursacht. Immer wieder wird auf demonstrative Beweise der Französischen Freundschaftsversicherungen gedrungen, und wenn heute Leo, durch schriftliche und mündliche Ergiessungen des Französischen Herrschers befriedigt, seiner Zuversicht entschiedenen Ausdruck gab[2], so kehrte morgen der nagende Zweifel zurück. Immer noch lieber wollte er die Wahl Karl’s durch Gewährung der beiden von ihm abhängigen Zugeständnisse befördern als sich

  1. Archivio storico Italieno, III. Ser., vol. 25, S. 377, s. 381. Wegen des Misstrauens des Königs vgl. Jovius 165.
  2. So z. B. Leo an Franz am 7. September 1518: Haec nos promissio et maximi regis voluntas contra omnes humanos casus, divino praeeunte auxilio, armatura est, ut non simus nec animo nec studio in defendenda nostra et hujus sedis amplitudine defecturi, etc. Brevia Leonis, Armar. 44, tom. V, p. 153. Vatican. Geh. Arch. S. Archivio stor. Ital. III. Ser., vol. 24, S. 10. Doch vgl. S. 24 die erneuten Versuche di sapere la mente del Christianissimo (am 14. October).
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_103.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)