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seine weise Besonnenheit und edle Mässigung treu bewahrt. Die Lebensschicksale des Helden finden wir, dem eigenthümlichen Zuge der Sage entsprechend, die Geschicke eines ganzen Fürstenhauses, ja eines ganzen Volkes auf seinen letzten glänzenden Vertreter zu übertragen, völlig verändert, der Charakter Dietrichs von Bern dagegen entspricht genau dem Charakter des geschichtlichen Theoderich.

Hohe persönliche Tapferkeit bewährte Theoderich schon als achtzehnjähriger Jüngling. Kaum aus seiner Vergeiselung aus Konstantinopel zurückgekehrt, überschritt er ohne Wissen des Vaters mit sechstausend Mann die Donau, besiegte und tödtete den Sarmatenkönig Babai und kehrte mit reicher Beute zurück[1]. Von seinem Volke nach des Vaters Tode, obwohl illegitimer Abkunft[2], auf den Schild erhoben, machte er sich bald nicht nur den Byzantinern, sondern auch den Slavischen Nachbarvölkern furchtbar. Malerisch und dem Geist der Sage entsprechend feiert Ennodius einen im Einzelkampf errungenen Sieg Theoderichs über einen Bulgarenführer: „Vor meinen Augen steht der Führer der Bulgaren, zu Boden liegend und doch von deiner Rechten mit der Freiheit beschenkt, nicht vernichtet, damit er nicht schwinde aus den Denkzeichen deines Ruhmes, nicht unversehrt, damit er nicht in Anmassung fortlebe, in einem unbezwungenen Volke ein lebender eigener Zeuge deiner Kraft“[3]. Wir sehen den Helden der Sage vor uns, wie er nicht den Tod des Gegners will, sondern sich mit seinem Treueid begnügt; er bietet vride, und der Bezwungene wird sein man.

  1. Jord. de reb. Get. c. 55.
  2. Jord. de reb. Get. 52. Theodericus filius naturalis ex Erelieva concubina natus Thiudimeri. Sie war auch die Mutter von Theoderich’s Bruder Theodemund. (Malch. frg. 18. Müller. FHG. IV p. 130. Paul. Diac. hist. R. XV, 12.) – Anon. Val. nennt den Theoderich irrthümlich den Sohn des Walamer; ebenso ältere Byzantinische Quellen, vgl. Dahn, Könige II, 63. Anm. 2. Der Irrthum ist leicht erklärlich; vgl. Martin, Theoderich d. Gr. S. 19 Anm. 1. – Aus der illegitimen Abkunft Theoderich’s erklärt sich wohl auch später sein eifriges Bemühen, durch Eutharich mit der Linie Berismunds in verwandtschaftliche Verbindung zu treten.
  3. Ennod. pan. V: Stat ante oculos meos Vulgarum ductor libertatem dextera tua adserente prostratus, nec extinctus, ne periret monumentis, nec intactus, ne viveret adrogantiae, in gente indomita domesticus adstipulator superfuturus roboris tui.
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_037.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)