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das Breve selbst, wie mir scheint, nicht zu der Vorstellung, dass ein Vorkämpfer des nationalen Widerstandes gegen die päpstliche Finanz- und Kriegspolitik darin mit kirchlichen Censuren heimgesucht werden solle. Wie kann man den päpstlichen Staatsmännern damals die Absicht zutrauen, als Helfer Luther’s oder Verweigerer der Handreichung zu seiner Vernichtung etwa drei Viertheile von Deutschland unter Interdict zu stellen!

Die Sache steht also nach zweifellos authentischer Quelle so, dass am 23. August der Papst den Kurfürsten von Sachsen gewarnt hatte, eine haeresis perniciosissima in seinem Land aufkommen zu lassen und dass er – trotz der noch längst nicht abgelaufenen 60tägigen Stellungsfrist – Luther’s Auslieferung nach Rom verlangt hatte. Nun ist der Grundzug des angefochtenen Breve an Cajetan doch die hierbei gleichsam in voller kirchlicher Waffenrüstung gestellte Forderung, den Ketzer in die Gewalt des päpstlichen Stuhls zu bringen. Mir erscheint es als ein Beweis mehr für diese Absicht des Schriftstücks, dass gleichzeitig noch in anderer Weise durch Luther’s derzeitigen Ordensvorstand auf päpstliches Geheiss der gleiche Zweck angestrebt wurde. Nicht die „Nullität“ des einmal eingeleiteten Verfahrens dürfte somit als unmittelbare Folge des neuen Erlasses betrachet werden, als vielmehr das durch Verschärfung des Conflicts hervorgerufene Bestreben, den Verlauf des Verfahrens zu sichern durch Sistirung des Angeschuldigten. Dafür spricht, dass das Breve gerade an dem Tag ausgefertigt wurde, an dem im Brief an Friedrich das ursprüngliche Verlangen einer Stellung vor Cajetan ersetzt wurde durch das der Auslieferung nach Rom. Ferner lief der Process thatsächlich fort, wie die Drohungen des Legaten gegenüber Luther und die Aeusserung im Brief an Sachsen, dass Rom die pestilenzische Angelegenheit weiter verfolgen werde, andeuten[1]. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch Cajetan’s consequente Weigerung erst recht verständlich, richterlich vorzugehen[2]. Man weiss ja, wie sehr die von ihm beliebte Betonung

  1. Löscher a. a. O. II, 509. Enders, Briefwechsel I, 271. Direct bezeugt der oft wohl unterrichtete Scheurl, dass „di obgemelten Commissarien zu Rhom wider in fur und fur procedirt heten“ (Geschichtsbuch der Christenheit, hrsg. von Knaake I, 125).
  2. „Facturum omnia paterne, non tamen judicialiter.“ Cajetan an den Kurfürsten bei Enders, Briefwechsel I, 270.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_009.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)