Seite:De DZfG 1893 09 328.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

historische Bildung hinarbeitet, er ist für mich erzieherisch werthlos, ich will den Geschichtsunterricht darauf zugeschnitten haben, dass er zum Staatsbewusstsein in meinem Sinne erzieht und dass er unter anderem auch die socialdemokratischen Ideen bekämpfen hilft, wie meine eine These ausdrücklich verlangt – ich will Geschichtsunterricht im Sinne des kaiserlichen Erlasses, ich will eine gewisse Tendenz, die mir sittlich geboten erscheint“. Herrn Martens als Referenten der Directorenversammlung und des Historikertages glaube ich damit so getreu wie möglich interpretirt zu haben, und es fällt mir gar nicht ein, ihm damit irgend etwas imputiren zu wollen, was von seinem Standpunkt aus tadelnswerth wäre. Man muss nur, wenn man die systematische Pflege bestimmter Gesinnungen im Geschichtsunterricht will, sich klar machen, dass man damit Tendenz verlangt, und man muss nicht an dem Worte Anstoss nehmen, als ob Tendenz an sich schon etwas Ehrenkränkendes sei, während doch in so vielen Dingen eine recht kräftige und bewusste Tendenz etwas sehr Erfreuliches ist und wir sie nur dem Geschichtsunterricht möglichst fern halten wollen. Wenn nun Herr Martens, der mir als der beredte Vertreter einer tendenziösen Verwerthung des Geschichtsunterrichts erschien, sagt, er lehne Tendenz ab, so ist das für mich entweder ein Verzicht auf seinen bisherigen principiellen Standpunkt oder, da es das nicht sein soll, so versteht er unter „Tendenz“ etwas ganz anderes als ich, und wenn wir jetzt in Ablehnung der Tendenz den Worten nach übereinstimmen, so müssten wir, um nicht über Worte zu streiten, den verbleibenden thatsächlichen Gegensatz anders zu formuliren suchen.     L. Quidde.

[213

Replik. Nach der vorstehenden Erwiderung des Herrn Berichterstatters lässt sich die Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und mir mit wenigen Worten klären und auf ihren richtigen Stand zurückführen. Es handelt sich dabei um die Ausdrücke Tendenz und Gesinnung. In den Abschnitten 1 bis 3 scheidet der Herr Berichterstatter sie genau und versteht unter Tendenz lediglich politische Tendenz im Sinne eines bestimmten Parteiprogramms, in Abschnitt 6 tritt der Ausdruck Tendenz an die Stelle desjenigen, was vorher Gesinnung genannt wurde, und dem Geschichtsunterricht unter dem von mir geforderten Gesichtspunkt des Staatsbewusstseins wird ein tendenziöser Zuschnitt beigemessen. Ich erkläre, dass ich unter Tendenz und Gesinnung immer nur ein und dasselbe verstanden habe, nämlich politische Tendenz im Sinne, sei es irgend einer Partei, sei es der jeweiligen Staatsregierung. Dagegen, dass ich einer solchen nicht das Wort rede, glaubte ich hinlänglich geschützt zu sein durch den meinem Staatsbewusstsein zu Grunde liegenden Begriff der Verantwortung, der, wie Jedem klar sein sollte, selbst eine scharfe politische Opposition gegen die „jeweilige Staatsregierung“ an und für sich nicht ausschliesst. Da aber dies Moment der Versammlung nicht einleuchtete, diese vielmehr nur immer politische Tendenz und ich möchte sagen „Gesinnungstüchtigkeit“ in meinen Thesen sah und bekämpfte, so trat ich, um das denkbar schärfste Zeugniss, dass mir politische Tendenz fernliege, abzugeben, dem Stieve’schen Antrag bei, dessen erster Theil – wie auch der Herr Berichterstatter an einer Stelle

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_328.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)