Seite:De DZfG 1893 09 327.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Bildung hätte gestellt werden sollen. Diese logische Verwirrung wurde nun in dem rasch entworfenen Stieve’schen Antrag noch erheblich gesteigert. Der Schluss desselben trat formell, eingeleitet mit den Worten „und zwar insbesondere“, wie eine verschärfende Ergänzung zu einem Punkte des vorhergehenden Satzes auf; thatsächlich aber sollte er nach Meinung eines Theiles der Versammlung (und zwar in beiden Lagern) den ersten Satz der These einschränkend modificiren, wie wenn er sich mit „jedoch“ eingeführt hätte. Form und Inhalt standen hier also nicht im Einklang, wie das so leicht bei „Concordienformeln“ der Fall ist, die sich nicht über die Gegensätze erheben, sondern sie in sich aufnehmen. (Deshalb war auch die nachträgliche Bemerkung, dass der Antrag nicht hätte getheilt werden sollen, sondern dass man über die Abwerfung des Schlusses zuerst wie über ein Amendement hätte abstimmen sollen, nach der Form des Schlusses ebenso unberechtigt, wie nach seiner wahren, etwas versteckten, sachlichen Bedeutung gerechtfertigt.) Dass der Unterricht nicht auf eine bestimmte Gesinnung hinzielen solle, war vorn in der These principiell ausgesprochen: nur Kenntnisse und Anregung solle er geben, „und zwar insbesondere“ dadurch, dass er doch eine bestimmte Gesinnung pflege. Diese Gesinnung konnte bei harmloser Deutung der Worte als ein wünschenswerthes Ergebniss des Unterrichts selbstverständlich scheinen, sie aber als Ziel des Unterrichts hinzustellen und einseitig zu betonen, erregte der Mehrheit Bedenken, um so mehr, da man auf der anderen Seite anscheinend etwas durchaus nicht Selbstverständliches darunter begriff. Der Bemerkung des Herrn Martens, dass ihm dieser Schluss der „weitaus wichtigste Theil“ der These war, freue ich mich desshalb als einer neuen Bestätigung dafür, wie richtig es war, diesen Schluss nicht als harmlos und unwesentlich mit passiren zu lassen. Es wäre sonst der falsche Schein einer nicht vorhandenen Uebereinstimmung oder gar einer Zustimmung zu den Martens’schen Anschauungen entstanden.

[212

6. Jetzt scheint nun freilich die entgegengesetzte Unklarheit entstehen zu sollen: der ebenso unberechtigte Schein, als ob bezüglich des ersten (angenommenen) Theils der Stieve’schen These, d. h. der Ablehnung jeder Tendenz, Herr Martens sich (wenn er auch weniger Gewicht darauf legt) in voller Uebereinstimmung mit den Gegnern des abgelehnten Schlusses befinde; denn Herr Martens gibt als eines seiner Motive für Annahme der Stieve’schen These an, dass „er in der denkbar schärfsten Form Zeugniss ablegen wollte dafür, dass ihm jede Tendenz beim Geschichtsunterricht fern liege“. Es thut mir leid, gegen diese Worte, mit denen der geehrte Herr Referent seinen eigenen Standpunkt glaubt bezeichnen zu können, nach meiner Auffassung entschieden Einsprache erheben zu müssen. Was Herr Director Martens in seinen Thesen, in seiner ersten Rede auf der Versammlung und sehr viel mehr noch in seiner Schrift über den Geschichtsunterricht, die ja zur Vorbereitung für dieselbe Versammlung dienen sollte, vertreten hat, ist meiner Meinung nach durchaus Tendenz. Im Sinne des Herrn Martens und zum Theil mit seinen Worten könnte man – so scheint es mir – etwa sagen: „ich verwerfe euren tendenzlosen, für mich farb- und kraftlosen Geschichtsunterricht, der auf eine rein

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_327.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)