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Froude’s neues Werk über die Scheidung Heinrich’s VIII. von seiner ersten Gemahlin, Katharina von Aragon[1], soll eine Ergänzung zu des Verfassers grosser Geschichte von England bilden und wendet sich ausdrücklich an ein grösseres Publicum. Froude ist sich bewusst, dass er mit der seit 40 Jahren von ihm vertretenen Auffassung von dem Charakter und den Handlungen Heinrich’s VIII. in der gelehrten Welt allein steht. Gleichwohl verharrt er bei derselben auch jetzt noch. Wohl verwahrt er sich dagegen, als ob er, wie boshafte Kritiker ihm nachgesagt hätten, Heinrich VIII. als einen Mustergatten habe hinstellen wollen. Aber doch ist er der Ueberzeugung, der König sei bei allen seinen Handlungen nur seinem Gewissen gefolgt, eine Auffassung, welche zu der von jeher herrschenden und durch die Quellen unterstützten, aber auch ebenso zu dem natürlichen menschlichen Empfinden in so schroffem Gegensatze steht, dass Niemand ohne starke Selbstüberwindung sich in dieselbe zu finden vermöchte. Die ungünstige Beurtheilung, meint Froude, rühre daher, dass die übertriebenen Huldigungen, welche den Fürsten zu ihren Lebzeiten erwiesen werden, zur Folge haben, dass man nach ihrem Tode ihnen gern gerade die schlimmsten Dinge nachzusagen pflege. Genau genommen müsste dann aber das Andenken aller fürstlichen Personen durch die Geschichtschreibung ebenso entstellt worden sein, wie Froude meint, dass es mit dem Andenken Heinrich’s VIII. geschehen sei. Die Darstellung beginnt mit dem Zeitpunkt, wo die Aussicht, durch Katharina einen männlichen Thronfolger zu erzielen, geschwunden war, und führt bis zur Heirath mit Johanna Seymour, welche den ersehnten Thronfolger gebar. Viele einzelne Punkte werden kritisch erörtert, z. B. die (von Froude natürlich geleugnete) Liebschaft Heinrich’s mit Maria Boleyn, der Schwester seiner nachmaligen Gemahlin Anna Boleyn. Der Verfasser weist darauf hin, dass Volk und Parlament alle Schritte des Königs billigten und unterstützten. Nach den zahlreichen, seit dem Erscheinen seines grossen Werkes erfolgten Veröffentlichungen neuer Quellen sind und bleiben ihm noch heute die Parlamentsacten mit ihren Preambeln die beste, die wahre Quelle zur Geschichte Heinrich’s VIII. Im übrigen baut er dieses Mal seine Darstellung wesentlich auf den in den Calendars niedergelegten Materialien auf; die Berichte des kaiserlichen Gesandten Chapuys nehmen dabei einen hervorragenden Platz

  1. The divorce of Catherine of Aragon; the story as told by the Imp. Ambassadors resid. at the Court of Henry VIII.; In usum laicorum; by J. A. Froude; being a suppl. vol. to the author’s „Hist. of England“. Longmans Green. 1891.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_129.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)